Die Französische Gemeinschaft will den Sexualunterricht an den Schulen intensivieren bzw. ausweiten. Die neue Bildungsministerin Caroline Désir denkt darüber nach, schon mit älteren Grundschulkindern die Themen Homo- und Bisexualität anzusprechen.
Aktuell werden in der Französischsprachigen Gemeinschaft die Schulbücher überarbeitet. Sie werden an das angepasst, was in der großen Schulreform, dem Pacte d’excellence, im französischsprachigen Landesteil beschlossen worden ist.
Die Idee, schon in der Grundschule über unterschiedliche sexuelle Orientierungen zu sprechen, ist dabei zunächst in der Expertengruppe entstanden, die sich mit dem Thema Gesundheit und Sexualkunde beschäftigt. Bei der zuständigen PS-Ministerin Caroline Désir kommt diese Idee gut an.
Zehn- und elfjährige Kinder des frankophonen Bildungswesens könnten in Zukunft also schon in der Grundschule lernen, dass es im Sexualleben neben der Konstellation Mann-Frau auch durchaus andere Paarbeziehungen geben kann, auch sexuelle Neigungen, die sich nicht nur auf ein Geschlecht beziehen müssen – und dass das alles so ganz in Ordnung ist.
Hervorragend findet diese Idee auch die Brüsseler Sexologin Camille Nérac. In der RTBF sagte sie: „Ich denke, dass das notwendig ist. Gerade in diesem Alter kann man gut an dem Thema Homophobie arbeiten. In dem Sinne, dass man vorgefertigte Meinungen oder Vorurteile abbauen kann in Bezug auf sexuelle Orientierungen, egal welcher Art.“
Die Themen Homo- und Bisexualität werden schon heute an frankophonen Schulen durchaus im Rahmen des Sexualunterrichts angesprochen. Aber erst in der Sekundarstufe. Ob die Konfrontation von jüngeren Kindern mit diesen Themen nicht zu früh ist, diese Zweifel hat Nicolas Joostens nicht. Josstens ist Direktor einer Grundschule in Brüssel.
„Wir stellen in Bezug auf diese Fragen zur sexuellen Orientierung immer mehr fest“, sagt er, „dass das ein gesellschaftliches Phänomen ist. Gleich mehrere Kinder an unserer Schule haben zwei Väter oder zwei Mütter. Unausweichlich entstehen dann dazu auch Fragen bei unseren Schülern.“
Kinder, sogar noch jünger als diejenigen, die jetzt vom frankophonen Bildungswesen mit den Themen Homo- und Bisexualität im Unterricht konfrontiert werden sollen, seien durchaus fähig, diese Themen zu begreifen. Diese Meinung vertritt Jérémy Minet. Er ist Koordinator des Vereins GrIS, der in Schulen über die Themen Homo- und Bisexualität, Liebesbeziehungen, Gefühle usw. spricht.
Minet, der selbst mit einem Mann zusammenlebt, erzählt: „Ich habe Neffen und Nichten, die mich immer nur in Paarbeziehungen gekannt haben. Sie sind noch sehr jung, im Kindergarten und der Grundschule. Und irgendwann haben sie mich mal gefragt, warum es bei mir denn keine Mama geben würde. Dann habe ich ihnen die Sache auf ganz einfache Weise erklärt. Und dann war das okay für sie. Die Sache war für sie damit erledigt. Sie sehen darin jetzt nichts bizarres mehr.“
Es komme halt immer darauf an, die Kinder in ihren Lebenswelten abzuholen. Mit Grundschulkindern müsse man eben anders sprechen, als mit älteren Kindern aus der Sekundarstufe. Aber das grundsätzliche Sprechen über Dinge wie Liebe, Beziehungen, Gefühle und unterschiedliche Orientierungen sei eigentlich immer gut. Ein Mindestalter dafür gebe es nicht, meint Minet.
Kay Wagner