Wie genau Papst Franziskus zu seinem Urteil gekommen ist, ist unklar. Sicher ist nur: Die Kirche hatte schon früher die Anschuldigungen gegen den betroffenen Priester untersucht und als durchaus begründet eingeschätzt. Der betroffene Priester wurde frühzeitig in den Ruhestand versetzt. Jetzt legte der Papst noch nach: Er enthob den Priester im Ruhestand aller seiner kirchlichen Funktionen. Er ist ab sofort nur noch ein normales Mitglied der katholischen Kirche.
Für das Opfer ist das eine späte Genugtuung. 13 Jahre alt war Gabriel Frippiat 1972, als die Vorfälle sich ereigneten. Frippiat war damals Schüler in einem kirchlichen Internat in Bastogne. Regelmäßig konnten da die Lehrer die Schüler zu Gesprächen unter vier Augen zu sich bestellen. Auch Priester Mathieux tat dies. Irgendwann nahmen die Treffen an Häufigkeit zu, bei denen es dann zu den Übergriffen kam. Frippiat erinnert sich: "Er wurde körperlich immer aufdringlicher. Und geendet hat das so, wie ein Kindesmissbrauch eben endet. Da gibt es nicht viele Worte, um das zu beschreiben."
Jahrelang trug Frippiat diese Erlebnisse mit sich herum. Zu lange für die Justiz, um gegen den Priester vorzugehen. 15 Jahre nach der Volljährigkeit eines minderjährigen Opfers von sexueller Gewalt verjährt die Angelegenheit für die Justiz. Frippiat erstattete aber erst 2010, 38 Jahre nach den Taten, Anzeige gegen seinen damaligen Lehrer. Viel zu spät also für die Justiz.
Die Kirche reagierte immerhin mit der Versetzung des Priesters in den vorzeitigen Ruhestand. Doch das war Frippiat nicht genug. 2015 schrieb er einen Brief an den Vatikan. Gegenüber der RTBF begründet er: "Ich wollte vor allem nicht mehr als jemand dastehen, der ein vermeintliches Opfer gewesen ist. Der Ausdruck 'vermeintliches Opfer' lässt die Möglichkeit offen, dass ich vielleicht übertreibe bei meinen Anschuldigungen. Aber das stimmt nicht. Ich übertreibe nicht. Der Beweis dafür ist, dass der Vatikan sich dieser Sache angenommen hat."
Insgesamt neun Jahre hat Frippiat auf die jetzt erfolgte Reaktion der Kirche warten müssen, die ihn jetzt zufriedenstellt. Eine lange Zeit, gibt Tommy Scholtès, Sprecher der belgischen Bischofskonferenz, durchaus zu. Um aber auch zu betonen: "Wenn sich das Opfer nicht meldet, dann kann man auch den mutmaßlichen Täter nicht direkt juristisch verfolgen. Hätte man eine konkrete Anzeige gehabt, viel früher, hätte die Angelegenheit viel effizienter und schneller geregelt werden können."
Für Frippiat allerdings war es anscheinend nicht möglich, das Vergehen früher anzuzeigen. Er spricht von einer Art Trauma, das man mit sich trägt. "Das vergräbt man dann tief in seinem Inneren", sagt er. "Einfach spricht man nicht darüber. Das ist etwas sehr Kompliziertes."
Dass die Kammer nun dabei ist, die Verjährung von sexuellen Übergriffen auf Minderjährige abzuschaffen, findet bei Frippiat große Zustimmung. Denn zur Verjährung von Straftaten wie Vergewaltigungen oder Kindesmissbrauch hat er eine ganz klare Haltung. Nämlich: Nein!
Kay Wagner