Bei der Veranstaltung lief "Papaoutai" (Papa, wo bist du?). In dem Song verarbeitet Stromae seine Kindheit. Sein Vater kam nämlich in den Wirren des Völkermords in Ruanda, seinem Heimatland, ums Leben.
"Papa, wo bist du?" schien natürlich auch prächtig zur Botschaft zu passen, die im Zentrum der Großkundgebung am 6. Oktober in Paris stand. Zehntausende Menschen hatten gegen die geplante Reform des Gesetzes zur künstlichen Befruchtung protestiert.
Papaoutai lief mehrmals während der Abschlussveranstaltung, zur musikalischen Untermalung, während die verschiedenen Gastredner auf die Bühne kamen. Der Song wirkte da fast schon wie eine Art Soundtrack.
Das Problem: Die Demo richtete sich vor allem dagegen, dass durch die Reform auch lesbischen oder unverheirateten Frauen eine künstliche Befruchtung in Frankreich erlaubt würde - also in Abwesenheit eines Vaters. Da bekommt die Frage "Papa, wo bist du?" natürlich einen anderen Sinn.
Sinnverdrehung
Und genau da liegt das Problem. Stromae kann sich mit diesem neuen Dreh, den sein Song bekommt, offensichtlich nicht identifizieren. Ausgerechnet dieser Song, in den er so viel Persönliches hat einfließen lassen, bekommt plötzlich eine "politische" Dimension, die er nie hatte.
Per Kommuniqué ließ Stromae mitteilen, dass er sich gegen den Gebrauch und die Verdrehung des Liedes und seiner Botschaft widersetze. Und erwäge auch eine Klage vor Gericht.
Und es gebe da durchaus eine Rechtsgrundlage, sagte der bekannte Medienanwalt Alain Beerenboom in der RTBF. In der Regel ist es ja so, dass bei der Verbreitung von Musikstücken Urheberrechte gezahlt werden müssen, und zwar an die zuständigen Einrichtungen. In Belgien ist das die Sabam, in Frankreich die Sacem.
Doch selbst wenn diese Gebühr entrichtet wurde, behält der Autor eines Werkes immer noch eine Art "moralisches" Vorrecht, das also nicht durch die reinen Urheberrechte abgedeckt ist. Der Autor hat das Recht, Beschwerde einzulegen, wenn sein Werk in irgendeiner Weise entfremdet wird. Wenn man zum Beispiel wie im vorliegenden Fall den Song in einen Kontext setzt und mit einer Botschaft versieht, die ursprünglich vom Autor so nicht gewollt war.
Stromae hat bei dem Song an seinen Vater gedacht, der tragisch sein Leben verloren hat. Das hat rein gar nichts damit zu tun, dass lesbische oder unverheiratete Frauen bald Kinder haben können, und es dort eben keinen Vater gibt. Der Song wird hier gewissermaßen umgedeutet.
Stromae in guter Gesellschaft
So etwas passiert längst nicht zum ersten Mal. Der wohl bekannteste Fall ist "Born in the USA" von Bruce Springsteen. Der erzkonservative spätere Präsident Ronald Reagan hatte den Song in seinem Wahlkampf eingesetzt. Das Lied ist eigentlich eine Art nachdenklicher Abgesang auf den amerikanischen Traum und wurde bei Reagan plötzlich zu einer patriotischen Hymne.
Der ehemalige französische Staatspräsident Jacques Chirac hatte einmal ein Chanson von Jacques Brel zur Wahlkampfhymne gemacht. In beiden Fällen gab es juristischen Ärger.
Und auch Stromae könne natürlich vor Gericht ziehen und Schadensersatz verlangen, sagt Medienanwalt Beerenboom. Er kann auch auf Unterlassung klagen, also dass die Organisatoren jeglichen Bezug auf seinen Song nach Möglichkeit löschen.
In jedem Fall ist das eine langwierige Prozedur. In der Zwischenzeit bleibt einem Künstler in einem solchen Fall wohl nichts anderes übrig, als sich erstmal in aller Deutlichkeit zu distanzieren.
Roger Pint