"Eine ganze Reihe von Medikamenten, die für die Patienten von wesentlicher Bedeutung sind, steht schlicht und einfach nicht mehr zur Verfügung". Doktor Vincent Seutin ist unter anderem Vorsitzender des Ethik-Ausschusses an der Lütticher Uni-Klinik. Und er ist einer der Unterzeichner eines Offenen Briefes, den einige namhafte Experten unterzeichnet haben und den die Zeitung Le Soir am Montag abdruckt. Titel, kurz und knapp: "Es reicht!".
Es mag unglaublich klingen, zumal in einem wohlhabenden Land, das doch eigentlich Teil der westlichen Welt ist, aber die Feststellung ist tatsächlich die: Es fehlt an Medikamenten. Und nicht an irgendwelchen. Die Zeitung Het Laatste Nieuws bringt am Montag auf ihrer Titelseite ein vielsagendes Beispiel: Seit dem 12. März ist in Belgien kein Clamoxyl mehr zu finden, zumindest nicht in seiner injizierbaren Form. Clamoxyl ist das weltweit meist gebrauchte Antibiotikum und wird bei einer ganzen Reihe von zum Teil lebensbedrohlichen Infektionen eingesetzt.
Und das ist nur eins von knapp 500 Präparaten, bei denen es mehr oder weniger große Engpässe gibt. Klar gebe es da manchmal Alternativen, räumte Doktor Vincent Seutin in der RTBF ein. Nur: Die Dosierung sei nicht immer die gleiche. Heißt: Dadurch erhöht sich die Gefahr einer Vergiftung bzw. kann es passieren, dass das Medikament nicht richtig wirkt.
Die Probleme sind inzwischen massiv. "Und das sorgt für Stress", sagt Vincent Seutin, "sowohl in der Notfallmedizin als auch in den Krankenhäusern. Für alle Beteiligten ist die Situation einfach nur noch schwierig".
Wie kann so etwas sein? Nun, schuld sei die Pharmaindustrie, sagt Vincent Seutin. Oft sei es ganz einfach so, dass die Hersteller der Nachfrage nicht genügen können. Ihre Lager sind leer, und die Produktion reicht nicht aus. Das habe unter anderem damit zu tun, dass die Herstellung ausgelagert worden sei. Die Fabriken stünden jetzt in Ländern wie z.B. Indien, jedenfalls weit weg. Und da sei die Kontrolle eben nicht so effizient, also z.B. was die Produktionsmengen angeht.
Resultat sind dann Engpässe - und die beginnen eben schon bei der Herstellung. "Und wir fordern, dass sich die Pharmaindustrie schlicht und einfach wieder verantwortlich fühlt für ihre Produktion und damit auch für die Versorgungssicherheit in den westlichen Ländern", so Seutin.
Am einfachsten wäre es, wenn die Industrie sich zusammensetzen und gemeinsam nach Lösungen suchen würde, sagt Vincent Seutin. Etwa, indem man neue Fabriken in Europa baut, von denen man sicher sein kann, dass Qualität und Quantität stimmen. Wir brauchen in jedem Fall strukturelle Lösungen.
Ein anderes Problem ist, dass gewisse, ältere Medikamente für die Industrie nicht mehr so lukrativ sind. Die Gewinnmargen sind einfach zu klein. Auch das führt dazu, dass solche Präparate langsam vom Markt verschwinden, obgleich sie immer noch sehr wirkungsvoll sind. Deswegen eben das besagte "Es reicht!". "Das Problem muss schnellstens angegangen werden", sagt Vincent Seutin. "Belgien ist ein kleines Land mit einem kleinen Markt. Deswegen brauchen wir eigentlich eine Europäische Lösung."
Roger Pint