Statistiken und Dunkelziffern - das alte Problem. Konkret: Auf der einen Seite gibt es die Kriminalitätszahlen. Und die sind rückläufig. Aber, davon abgesehen: Diese Zahlen geben den Sicherheitsbehörden auch wertvolle Hinweise. Zum Beispiel auf welchen Bereich man sich jetzt ganz besonders konzentrieren muss. Nur: Was eben, wenn die Statistiken nicht wirklich die Realität widerspiegeln? Manchmal noch nicht mal ansatzweise? Genau zu dieser Feststellung ist jetzt die Polizei gelangt.
Die Polizei hat eine neue Auflage ihres sogenannten "Sicherheitsmonitors" vorgestellt. Zum ersten Mal seit zehn Jahren wurde wieder eine großflächige Erhebung vorgenommen: In 164 Polizeizonen, genauer gesagt 240 Gemeinden, wurden insgesamt fast 170.000 Bürger befragt. Dabei ging es um ihren "Umgang" mit Straftaten - genauer gesagt um die Frage, inwieweit sie Opfer von Straftaten geworden sind und ob sie diese zur Anzeige gebracht haben oder nicht.
Die Antwort ist oft ernüchternd ausgefallen. Beispiel Cyberkriminalität: Die Zahl der Straftaten im Internet ist stark angestiegen. Das geht freilich auch schon aus den "offiziellen" Statistiken hervor. Nur ist die Dunkelziffer deutlich höher. Laut dem "Sicherheitsmonitor" haben noch nicht mal 14 Prozent der Befragten tatsächlich auch Anzeige erstattet, etwa, wenn der Computer oder das Smartphone gehackt wurden. Gleiches gilt für Cybermobbing oder Bedrohung im Netz. Nur etwa ein Viertel dieser Vorfälle wurde der Polizei gemeldet.
Unterm Strich ergibt sich da folgendes Bild: 200.000 Internet-Straftaten tauchen in keiner Statistik auf, da sie nicht angezeigt wurden. Die Polizei ist da durchaus auch selbstkritisch. Insofern, als man wohl zugeben müsse, dass so mancher Beamter der lokalen Polizei wohl überfordert wäre, wenn bei ihm ein Jugendlicher vorstellig würde, um etwa den Diebstahl seiner Identität im Internet anzuzeigen, räumte in der VRT Nico Paelinck ein, Vorsitzender des Ständigen Ausschusses für die lokale Polizei.
So mancher Kollege wüsste wohl nicht, was für eine solche Anzeige nötig wäre. Nur wissen wir auch: Dieser Jugendliche, der wird sich wohl nie mehr an die Polizei wenden. Da muss etwas unternommen werden, um der Polizei auch auf der lokalen Ebene mehr Mittel und mehr Expertise an die Hand zu geben.
Sittenvergehen
Internetkriminalität, das ist aber nur ein Aspekt. Vielleicht noch besorgniserregender ist die Feststellung, dass auch viele Straftaten in der realen Welt unbemerkt bleiben. Nur ein Beispiel: Acht von zehn Sittenvergehen werden nicht zur Anzeige gebracht. Von den 58.000 Sittendelikten, die sich tatsächlich ereignet haben, tauchen nur 12.000 in den Statistiken auf, weil die Opfer Anzeige erstattet haben.
Ist das nicht auch Ausdruck eines Misstrauens der Polizei und der Justiz gegenüber? Da mag was dran sein, gibt der amtierende Justizminister Koen Geens zu. Im Grunde trage der ganze Apparat hier wohl einen Teil der Verantwortung. Bis hin zum Opfer selbst, das es vielleicht als zu aufwendig oder auch als zwecklos empfindet, sich an die Behörden zu wenden. Das ist nämlich auch eine häufig gehörte Feststellung: Eben, dass man ohnehin den Eindruck hat, dass die Anzeige letztlich "nichts bringt".
Nichtsdestotrotz: Die Polizei und auch der Justizminister appellieren gleichermaßen an die Bürger, Straftaten möglichst zu melden. Eben, um eine zielgerichtete Politik überhaupt möglich zu machen. Denn, ein Staat könne schließlich nicht auf Probleme reagieren, die er gar nicht kennt.
Der Sicherheitsmonitor hat auch das "Sicherheits-" beziehungsweise "Unsicherheitsgefühl" der Menschen abgefragt. Demnach fühlen sich drei Viertel der Befragten "immer" oder "fast immer" sicher. Dieser Wert liegt elf Prozentpunkte höher als vor zehn Jahren. Demnach fühlen sich die meisten Menschen nicht sicher in Brüssel und in der Provinz Hennegau. Was die Menschen am meisten stört, das sind Raser in ihrem Wohnviertel beziehungsweise illegal deponierter Müll.
Roger Pint
Eine sehr interessante Analyse, die auch wieder die Frage aufwirft, warum in Belgien die Justiz chronisch unterfinanziert ist. Wenn Richter nicht mehr Recht sprechen können, weil ihnen die (materiellen) Bedingungen dazu schlichtweg nicht gegeben werden, entsteht natürlich ein Gefühl der Straflosigkeit und Opfer überlegen sich, ob es dann überhaupt Sinn macht, Anzeige zu erstatten. Solange die Exekutive (Minister) weiter die Judikative (Richter) untergräbt, indem sie den Geldhahn so sehr zudreht, dass den Richtern nicht nur sprichwörtlich sondern auch tatsächlich die Decke auf den Kopf fällt (Beispiel Justizpalast Brüssel), solange kann auch nicht erwartet werden, dass der Bürger vertrauen darin hat, dass seine Anzeige durch alle Instanzen ordnungsgemäß bearbeitet und untersucht wird.