In der Zeitung De Standaard war am Samstag die Abschrift einer Unterredung abgedruckt worden zwischen dem Kardinal und einem jungen Mann, der in seinen Jugendjahren von dem Brügger Bischof Roger Vangheluwe sexuell missbraucht wurde. Dabei wurde deutlich, dass es das Bestreben des Kardinals ist, die Sache geheim zu halten.
Danneels macht heute, ebenfalls in De Standaard, von seinem Recht auf Gegendarstellung Gebrauch und spricht dabei von Rufmord.
Die Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche haben in Belgien einen Namen: Roger Vangheluwe. Zwar ist es nicht so, dass es vorher keinen Fall von sexuellem Missbrauch durch Kirchenvertreter gegeben hätte, doch hat der Skandal um den Bischof von Brügge zu einer allgemeinen Empörung vorher nicht gekannten Ausmaßes geführt.
23. April 2010: Der langjährige Bischof von Brügge, Roger Vangheluwe, reicht überraschend seinen Rücktritt ein. Er gibt zu, ein Mitglied seiner Familie über Jahre hinweg sexuell missbraucht zu haben.
Ein Sturm der Entrüstung bricht los. Unter anderem wird auch Kardinal Daneels beschuldigt, von den Vorwürfen gegen den Bischof gewusst und die Sache geheim gehalten zu haben. Und das spätestens seit dem 8. April, also knapp drei Wochen vor dem Rücktritt von Vangheluwe. An diesem Tag war nämlich das Opfer des Bischofs beim Kardinal vorstellig geworden. Bei dem heute 42-Jährigen handelt es sich um einen Neffen von Vangheluwe.
Dass besagtes Gespräch stattgefunden habe, das räumte Danneels Ende April auf einer Pressekonferenz ein. Die Familie habe um eine Unterredung mit ihm ersucht, sagte Danneels. Was sie damit bezweckt habe, das wisse er nicht. Fest stehe: Im Rahmen dieses Gesprächs sei alles auf den Tisch gelegt worden. Nur sei er bei dem ganzen nicht mehr als ein Zuschauer gewesen, sagte Kardinals Danneels.
Seinerzeit fügte der Kardinal hinzu, dass es nie seine Absicht gewesen sei, den Missbrauchsfall unter den Teppich zu kehren. Seine Rolle sei allein die eines Zuhörers gewesen. Seit dem vergangenen Samstag wird diese Aussage angezweifelt. Die Zeitung De Standaard veröffentlichte ein explosives Gesprächsprotokoll. Das Blatt gibt an, dass der Neffe von Bischof Vangheluwe das Gespräch vom April mit dem Kardinal mitgeschnitten habe und die Bänder dann der Zeitung zugespielt habe.
Die Verschriftung besagter Unterredung wirft ein zweifelhaftes Licht auf den Kardinal. Das Opfer gibt zu verstehen, dass es den Rücktritt seines Peinigers wünscht. Darauf gibt Danneels zu bedenken, dass Vangheluwe ohnehin im kommenden Jahr das Pensionsalter erreichen und damit abtreten würde.
Danneels ist offensichtlich, laut dem ominösen Gesprächsprotokoll, vor allem besorgt wegen des drohenden Imageschadens für den Bischof und die Kirche insgesamt. Zitat: "Ich weiß nicht, ob es vorteilhaft wäre, die Sache an die große Glocke zu hängen, weder für Sie, noch für den Bischof", wendet sich Danneels an seinen Gesprächspartner.
Besagter Mitschnitt ist inzwischen in den Händen der Justiz. Für den Rechtsbeistand des Kardinals besteht aber kein Zweifel daran, dass sein Mandant vor Gericht nichts zu befürchten hat. Das geht zumindest aus einer Gegendarstellung hervor, zu deren Veröffentlichung De Standaard und auch Het Nieuwsblad heute auf der Grundlage des Presserechts gezwungen wurden.
Kardinal Danneels sieht sich demnach als das Opfer einer Rufmordkampagne. Die beiden Zeitungen hätten etwa gewisse Textpassagen graphisch hervorgehoben, teilweise auch mit voreingenommenen Kommentaren gespickt und damit tendenziös berichtet. Fakt sei demnach: Danneels war auf das Gespräch nicht vorbereitet, sei quasi dazu genötigt worden. Er habe seinem Gesprächspartner auch klar gemacht, dass er seinerzeit schon nicht mehr der Erzbischof von Mechelen-Brüssel war. Und selbst wenn: Der alleinige Vorgesetzte von Bischof Vangheluwe wäre ohnehin nicht er, sondern allein der Papst.
Was seine Empfehlungen an die Adresse des Opfers angeht: Er habe allein einen öffentlichen Familienskandal vermeiden wollen, der letztlich niemandem dienen würde, dem Opfer nicht, und auch der Familie nicht. Man müsse doch feststellen: Das Opfer und die Familie waren zu diesem Zeitpunkt schon seit 24 Jahren über den Missbrauch im Bilde. In all dieser Zeit habe niemand den Kontakt weder zur Presse noch zur Polizei gesucht.
Und schließlich, so macht der Kardinal geltend: Es ist nicht die Aufgabe eines Vermittlers, eines Zuhörers in einem vertraulichen Gespräch, gleich welche Schritte zu unternehmen.
Auch De Standaard will naturgemäß die Darstellung des Kardinals nicht unkommentiert hinnehmen. In einer Replik weist die Chefredaktion die gegen das Blatt gerichteten Vorwürfe entschieden zurück. De Standaard betreibe keine Hexenjagd gegen den Kardinal. Man habe das Protokoll veröffentlicht, weil es sich um ein gesellschaftlich wichtiges Dokument handele. Das Protokoll sei eine Illustration des Umgangs der Kirche mit Missbrauchsfällen.
Auch in der Gegendarstellung des Kardinals falle auf, was Danneels nicht getan habe. Er habe sein Wissen um den Missbrauchsskandal zurückgehalten, habe auch nicht die eigens für solche Fälle eingesetzte Adriaenssens-Kommission eingeweiht, und habe schließlich auch nicht seinen Nachfolger, Erzbischof Léonard, eingeschaltet. Das Fazit der Chefredakteure von De Standaard: Wir nehmen die Lesart des Kardinals zur Kenntnis, den Rest muss er mit seinem Gewissen ausmachen.