Lebensmittel-Erpresser - das Phänomen ist dann doch so verbreitet, dass es dafür im Deutschen schon einen feststehenden Begriff gibt. Und tatsächlich: Die Zahlen sind beeindruckend. Ein Experte schätzte in der Süddeutschen Zeitung, dass bei den sieben bis zehn größten deutschen Lebensmittelkonzernen pro Woche etwa zehn bis zwölf Schreiben eingehen. Das wären also "mal eben" um die 5.000 im Jahr.
Deutschland kennt ja auch eine Reihe von spektakulären Fällen. Der bekannteste ist wohl der Mann, der unter dem Decknamen "Dagobert" firmierte, wobei dieser Dagobert nicht Produkte vergiftete, sondern Supermarktketten mit Bombenanschlägen bedrohte. Hier spricht man denn auch eher von einem Kaufhaus-Erpresser. Die Masche ist aber die gleiche.
In Belgien ist das Phänomen nicht ganz so bekannt. Wahrscheinlich, weil solche Geschichten eben nicht ans Licht kommen. Entsprechend hat die Schlagzeile am Freitag auf Seite eins von Het Nieuwsblad denn auch seine Wirkung nicht verfehlt. "Erpresser drohen damit, Nahrungsmittel zu vergiften", schreibt das Blatt. Im Visier der Täter sind demnach in erster Linie die Traditionsunternehmen IJsboerke und Jules Destrooper. IJsboerke produziert vor allem Eis, Jules Destrooper ist für sein Gebäck und seine Biskuits bekannt.
Bei beiden Unternehmen soll in den letzten Tagen ein Drohbrief eingegangen sein. Der Umschlag enthielt jeweils ein weißes Pulver. Im westflämischen Lo, am Hauptsitz von Jules Destrooper, sorgte das sogar für einen größeren Polizeieinsatz. "Das Unternehmen hat sofort Alarm geschlagen. Wir haben dann den Brief sichergestellt und zur Untersuchung in ein Labor gegeben", sagte Kommissar Georges Aeck von der Polizei Ypern in der VRT. Das Ergebnis der Untersuchung sei dann aber doch beruhigend, sagt der Polizeikommissar: Das Pulver aus dem Umschlag sei nicht giftig gewesen.
300.000 Euro in Bitcoin
Abgesehen von besagtem Pulver enthielt der Umschlag aber auch noch einen Brief. Darin drohen Unbekannte damit, die Produkte des Unternehmens zu vergiften. Und die Täter sagen auch schon, welches Gift sie verwenden wollen, nämlich Oleandrin. Wie der Name schon sagt, wird diese Substanz aus dem Oleanderstrauch gewonnen. Oleandrin kann Magen-Darm-Probleme, aber vor allem Herzbeschwerden verursachen.
Die Erpresser verlangen 300.000 Euro, und das spätestens bis zum 20. Mai. Zeichen der Zeit: Diese 300.000 Euro sollen in Bitcoins gezahlt werden. Hier handelt es sich ja um eine sogenannte Kryptowährung. Im Grunde könnte man auch von "Internet-Geld" sprechen, wobei es in diesem Fall relativ schwierig ist, der Spur des Geldes zu folgen.
Vergleichbare Briefe sind nach Erkenntnissen von Het Nieuwsblad neben IJsboerke und Destrooper auch bei anderen belgischen Unternehmen eingegangen, unter anderem bei Continental Foods, die bekannt sind etwa durch die Devos-Lemmens-Soßen oder die Royco-Tütensuppen.
Auch Lavazza und Ferrero bedroht
Und nicht nur belgische Firmen werden bedroht. Wie italienische Medien berichten, seien auch beim Kaffeeproduzenten Lavazza und beim Schokoladenhersteller Ferrero ähnliche Drohbriefe eingegangen. Die Schreiben wurden demnach in Belgien aufgegeben. Die Umschläge hätten diesmal sogar tatsächlich Oleandrin enthalten. Auch die Lösegeldsumme - 300.000 Euro in Bitcoins - und die Frist - 20. Mai - seien identisch.
Die Täter warnen in bestem Englisch auch vor den möglichen Folgen: "Es sei sehr einfach, die Produkte zu vergiften. Und für das Image des Herstellers wäre das natürlich eine Katastrophe".
Bereits Anfang April soll auch eine schwedische Niederlassung von Findus, dem Hersteller von Fertigprodukten, einen solchen Brief bekommen haben. Ob es einen Zusammenhang gibt mit den jetzt bekannt gewordenen Fällen, ist noch unklar.
Die belgischen Polizei- und Justizbehörden nehmen die Sache in jedem Fall sehr ernst. Die Föderale Staatsanwaltschaft bestätigte entsprechende Ermittlungen. "Es stimme, dass von Belgien aus Drohbriefe an Lebensmittelhersteller in ganz West-Europa verschickt worden seien", zitiert die Nachrichtenagentur Belga einen Sprecher. Bislang gebe es aber keinerlei Hinweise darauf, dass die Produktion der betroffenen Unternehmen in irgendeiner Weise gefährdet sei. Auch der Geschäftsführer von Jules Destrooper gab sich beschwichtigend: "Das Gebäck sei völlig unbedenklich".
Roger Pint