Der Karneval von Aalst ist, wie man liest und hört, nur was für wirklich eingefleischte Karnevalisten. Da geht's offenbar doch ziemlich hoch her. Der ganz Stolz der örtlichen Narren ist der "stoet", der Karnevalsumzug. Gleich an mehreren Tagen ziehen die Gruppen mit ihren Festwagen durch die Stadt.
Dieser "stoet" ist gnadenlos tabulos, könnte man sagen. Nirgendwo sonst, so darf man behaupten, wird sich derartig ungeniert und rücksichtslos über alles und jeden lustig gemacht. Dieser Humor mit offenem Visier sorgt fast schon naturgemäß zuweilen für lupenreine Entgleisungen.
2013 etwa wollte eine Karnevalsgruppe die N-VA und ihren Parteichef Bart De Wever aufs Korn nehmen. Die Narren empfanden die Stellungnahmen und Positionen der N-VA wohl als eine Art Echo aus der Nazizeit. Die karnevalistische Umsetzung war dann aber doch ziemlich geschmacklos - und das ist noch diplomatisch ausgedrückt. Die Gruppe paradierte in SS-Uniformen durch die Stadt und ihr Wagen war einem Deportationszug nachempfunden. Da dürfte so manchem Zuschauer wohl das Lachen vergangen sein. Die Sache sorgte seinerzeit auch schon für eine Welle der Empörung.
Motiv des geldgierigen Juden
In diesem Jahr haben die Karnevalisten von Aalst wieder zugeschlagen. Eine Gruppe hatte sich das Thema "Sabbatjahr" ausgesucht: Die Preise steigen, also fehlt das Geld. Deswegen muss man eine Auszeit nehmen. "Sabbatjahr? Stimmt! Das kommt ja von den Juden", muss sich da wohl einer gedacht haben.
Der Festwagen wurde also mit Puppen dekoriert, die Juden darstellen sollten. Nur entsprechen die Motive ziemlich genau den Karikaturen, die in den 1920, 30er Jahren über die Juden kursierten. Orthodoxe Juden mit Schläfenlocken und Hakennase. Nicht nur, dass die Gesichtszüge typisch überzeichnet sind, die Mimik ist auch die eines schelmischen, geldgierigen Abzockers. Um das Ganze abzurunden, sieht man im Hintergrund dann auch noch einen Geldschrank nebst Dollarscheinen.
Das Motiv des geldgierigen, verschwörerischen Weltjuden also. Und das fanden jüdische Verbände überhaupt nicht lustig. Das hätte eins zu eins aus 'Der Stürmer' stammen können, beklagte man da sinngemäß. Auch Hans Knoop, Sprecher des Forums jüdischer Vereinigungen, ist "not amused". "Ich kann nicht in die Köpfe schauen. Vielleicht hatten diese Leute ja keine antisemitischen Motive", sagte Knoop in der VRT. Dennoch sei das eine komplett deplatzierte Art und Weise des Amüsements. "Die Juden lieben wie kein anderes Volk den Humor. Darüber können wir aber nicht lachen."
Klage eingereicht
Zwei jüdische Vereinigungen haben also Klage beim Zentrum für Chancengleichheit und Rassismusbekämpfung, Unia, eingereicht. Das war aber noch nicht alles. Am Dienstag erreichte die Empörung dann noch mal eine neue Ebene. Von einem Journalisten auf die geschmacklosen Bilder angesprochen, nahm auch der Sprecher der EU-Kommission Stellung zu dem Vorfall. "Ja, die Geschichte ist uns nicht entgangen", sagte Magaritis Schinas. "Und es sollte eigentlich jedem einleuchten, dass es absolut undenkbar ist, dass solche Bilder heutzutage in Europa bei einer Parade zur Schau getragen werden, 74 Jahre nach der Schoah."
Der Kommissionssprecher war aber noch nicht fertig. Schinas zitierte den Kommissionsvorsitzenden Jean-Claude Juncker, der zu einem früheren Anlass jegliche Form von Antisemitismus scharf verurteilt hatte: "Unsere Union wurde errichtet auf der Asche des Holocausts. Sich daran zu erinnern und Antisemitismus zu bekämpfen, ist unsere Pflicht der jüdischen Gemeinschaft gegenüber. Und es ist unabdingbar, dass wir unsere gemeinsamen europäischen Werte verteidigen."
Allerdings: Die EU-Kommission selbst könne in solchen Fällen freilich nicht tätig werden. Das sei allein Sache der Mitgliedstaaten, sagte Schinas.
Dennoch: Das nennt man wohl einen Anpfiff. Auf diese Publicity hätte Belgien wohl verzichten können. Schinas verwies in diesem Zusammenhang auch indirekt auf gewaltsame antisemitische Übergriffe in der letzten Zeit so ein bisschen überall in Europa. "Wir Europäer haben nicht den Luxus, so etwas auf die leichte Schulter nehmen zu können. Wir haben auf diesem Kontinent erlebt, wie so etwas endet. Und wir wollen diesen Film nicht zurückspulen und nochmal sehen", so Schinas.
Roger Pint