Alle zwei Jahre setzen sich in Belgien Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammen, um über mögliche Gehaltserhöhungen zu beraten. Diese Gespräche haben den Bericht des zentralen Wirtschaftsrats zur Grundlage – und für die anstehenden Verhandlungen liegt dieser Bericht jetzt vor. Für die Arbeitnehmer gibt es da schlechte Neuigkeiten, denn der Bericht rechnet vor, dass die Gehälter in den kommenden zwei Jahren eigentlich nicht steigen können. Den Präsidenten der sozialistischen Gewerkschaft, Robert Verteneuil, bringt das auf die Palme.
Gleich in mehreren Zeitungen lässt Robert Verteneuil per Interview am Donnerstag Dampf ab. Für ihn sind die Zahlen aus dem Bericht des zentralen Wirtschaftsrats ein Unding. Schon vor den Verhandlungen über Gehaltserhöhungen soll feststehen, dass es keine Gehaltserhöhungen geben kann? Wenn das tatsächlich so kommen sollte, dann sieht Verteneuil schwarz für den sozialen Frieden in den Betrieben.
Wörtlich sagte er Donnerstagvormittag in der RTBF: „Wenn wir bei den Verhandlungen die Situation haben sollten, dass wir über Gehaltserhöhungen überhaupt nicht sprechen können, dann sage ich voraus, dass das sicher kein Selbstläufer werden wird. Ich sage zwar nicht, dass der Sozialfrieden gefährdet ist. Aber ich sage es im Konjunktiv: Wenn man uns nicht entgegenkommt und die Tür öffnet, dann könnte es tatsächlich ein Problem mit dem Sozialfrieden geben.“
Denn dass man trotz der Zahlen aus dem zentralen Wirtschaftsrat doch Spielräume freimachen könnte, das steht für Verteneuil außer Frage. Er führt das Beispiel des Indexsprungs von 2016 an. Damals hätte es eigentlich eine gesetzlich vorgesehene Gehaltsanpassung für alle Arbeitnehmer geben müssen. Weil die Lebenshaltungskosten in Belgien über zwei Prozent gestiegen waren. Doch um das Lohnniveau in Belgien demjenigen der Nachbarländer anzugleichen, hatte die Regierung damals durchgesetzt, dass auf die Erhöhung verzichtet wurde. Etwas, was eigentlich in dem Gesetz von 1996, das die Gehaltsanpassungen regelt, nicht vorgesehen ist.
Deshalb sagt Verteneuil am Donnerstag: „Sie“, - also die Regierung – „haben bei dem Gesetz von 1996 eine Ausnahme gemacht, um den Indexsprung zu ermöglichen. Dann sollen sie jetzt auch eine Ausnahme machen bei der Marge für die Verhandlungen über die Gehälter."
Eine Gehaltserhöhung von 1,4 Prozent nennt Verteneuil in der Zeitung La Libre Belgique als eigentlich nötig an. Aber er mache sich keine Illusion: Die Arbeitgeber würde mithilfe der Regierung das schon zu verhindern wissen.
Damit würden dann aber auch die gesetzlich vorgeschriebenen Verhandlungen über die Lohnentwicklung langsam zur Farce. Dieses „über-berufliche Abkommen“, das alle zwei Jahre geschlossen werden soll, sei aber fundamental, sagt Verteneuil. „Das Problem heute ist, dass die Regierung ein bisschen gemeinsam mit den Arbeitgebern dabei ist, dieses Abkommen auszuhöhlen.“
Kurz: Der FGTB-Boss befürchtet, von der Regierung mal wieder über den Tisch gezogen zu werden. Für die Woche vom 10. bis zum 14. Dezember werde es deshalb bei den landesweiten Protestaktionen bleiben, die die Gewerkschaften schon vor Wochen angekündigt hatten.
Für die aktuellen Proteste der Gelbwesten hat Vertenueil unterdessen viel Sympathien. Eine Konkurrenz dieser nicht-organisierten Proteste zu der organisierten Gewerkschaftsarbeit sieht er nicht. Verteneuil sagt: „Ich finde diese Proteste der Gelbwesten an sich etwas sehr Gutes. Wenn die Bürger ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und ihre Meinung kundtun. Ich habe damit kein Problem, das stört mich ganz und gar nicht. Zumal sie genau die gleichen Dinge sagen, wie wir. Das ergänzt unseren Kampf.“
Kay Wagner