Dass Implantate schonmal gefährlich sein können, weiß man spätestens seit dem PIP-Skandal, der 2010 in vollem Maße ans Licht kam. PIP war ein französisches Unternehmen, das Brustimplantate herstellte. Die waren allerdings von minderwertiger Qualität, sie konnten reißen, wodurch dann das Silikongel austreten konnte. Tausende Frauen mussten sich das Implantat wieder herausoperieren lassen.
Solch krasse Fälle sind natürlich die Ausnahme. Dennoch: Probleme mit Implantaten sind nach wie vor keine Seltenheit. Zu diesem Schluss kommt die neue Recherche des Internationalen Konsortiums von Enthüllungsjournalisten ICIJ, das seine Erkenntnisse unter dem Titel "Implant-Files" seit Montag weltweit veröffentlicht. Den belgischen Part der Recherche haben die Zeitungen Le Soir und De Tijd, sowie das flämische Nachrichtenmagazin Knack übernommen.
Im vergangenen Jahr hätten mehr als 220.000 Menschen in Belgien ein Implantat bekommen, sagte Lars Bové von De Tijd in der VRT. Nur hätten die Patienten im Grunde gar keine Ahnung, was man ihnen da genau eingepflanzt hat oder ob es in der Vergangenheit mit dem Produkt vielleicht Probleme gegeben hat.
Die Medienhäuser haben also gewissermaßen vorne angefangen: Sie haben bei der zuständigen föderalen Behörde nachgefragt, wie viele Zwischenfälle im Zusammenhang mit Implantaten gemeldet worden sind. Um zunächst einmal festzustellen, dass diese föderale Agentur für Arzneimittel und Gesundheitsprodukte bislang überhaupt nicht über einen Gesamtüberblick verfügte. Die Liste musste erst von Hand zusammengestellt werden.
Bis zu 40.000 Fälle
Demnach wurden zwischen 2013 und 2018 knapp 3.800 Fälle gemeldet, bei denen es also zu Komplikationen im Zusammenhang mit einem Implantat gekommen ist. In mindestens drei Fällen ist der Patient sogar an den Folgen gestorben. In der Zeitung Le Soir sagt ein Sprecher der Agentur, dass man diese Informationen nicht veröffentliche, weil man die Menschen nicht unnötig beunruhigen wolle.
Bei der Agentur für Arzneimittel und Gesundheitsprodukte räumt man aber ein, dass das allenfalls die Spitze des Eisbergs sei. Zwar gebe es eine gesetzliche Meldepflicht, man müsse aber davon ausgehen, dass der Agentur nur zwischen zehn und 20 Prozent der Probleme wirklich mitgeteilt werden. Heißt also: Man muss von bis zu 40.000 Fällen ausgehen, bei denen Komplikationen aufgetreten sind.
Und noch eine erschreckende Feststellung: Grund sind manchmal schlicht und einfach die Implantate selbst. Es sei nämlich so, dass viele davon, wenn überhaupt, dann nur ganz oberflächlich klinisch getestet werden. Das Problem stellt sich europaweit. Oft reicht es da, geltend zu machen, dass das Produkt im Wesentlichen identisch ist mit einem schon bestehenden, um die Zulassung zu bekommen. Und wenn es doch klinische Testes gebe, dann seien die oft nicht einsehbar, sagt Kristof Clerix von Knack.
Ein besonders krasser Fall ist die Geschichte der Balletttänzerin, die eine neue Hüfte bekommen hat. Die Frau kann inzwischen kaum noch gehen. Grund war, dass das neue Gelenk winzigen Materialabrieb erzeugte, der das Blut der Patientin vergiftet hat.
Transparenz
Das sind freilich Extremfälle. Und gemessen an der Gesamtzahl der eingepflanzten Implantate müsse man die Erkenntnisse wohl auch ein wenig relativieren, geben Ärzte zu Bedenken. "Prinzipiell sorgt jedes Implantat für Komplikationen. Es ist und bleibt eben für den Organismus ein Fremdkörper", sagt Dr. Jean-Luc Nizet in der RTBF, der auf Brustimplantate spezialisiert ist. Entzündungen sind da quasi vorprogrammiert. Die Frage ist also, wie man den Begriff "Komplikationen" definiert. Sprechen wir über Probleme, die wirklich gesundheitsgefährdend sind? Oder geht es um normale Folgeerscheinungen, die man in den Griff bekommen hat?
Man wolle jetzt keine Panik schüren, betont aber auch Le Soir. In vielen Fällen retten Implantate Leben, machen das Leben in jedem Fall oft lebenswerter. In erster Linie gehe es hier nur um Transparenz. Es sei einfach wichtig, dass der Patient wisse, was man ihm da einpflanzt und dass er sicher sein kann, dass das Produkt unbedenklich ist.
Roger Pint