"Ja, wir stecken in einer Krise. Und diese Krise hat viele Facetten", sagt Martine Simonis, die Generalsekretärin des frankophonen Journalistenverbandes AJP. Martine Simonis, kann nur feststellen, dass die Presselandschaft nach wie vor eine schwierige Phase durchmacht.
Jüngstes Beispiel ist L'Avenir. Der Regionalzeitung droht eine einschneidende Umstrukturierung. Ein Viertel der Stellen wird abgebaut. Betroffen ist auch die Redaktion, wo 60 Journalistenstellen gestrichen werden sollen. Die Nachricht sei wie eine Bombe eingeschlagen, sagte auch Audrey Ronlez, Journalistin bei L'Avenir, in der RTBF. Zwar hätten die Mitarbeiter längst geahnt, dass irgendwas passieren würde. Das Ausmaß der Umstrukturierung habe viele aber dann doch umgehauen.
Den Schock haben die Journalisten verarbeitet, in dem sie das getan haben, was sie am besten können: Sie haben drüber geschrieben. Fast die gesamte heutige Ausgabe ist dem Thema gewidmet - elf Sonderseiten. Schon die Titelseite ist ein Statement: "Ein Viertel unseres Personals ist bedroht, aber auch ein Viertel Ihrer Zeitung", wendet sich das Blatt an die Leser. Und das ist wörtlich zu verstehen. Nicht nur, dass die Titelseite weitgehend in weiß gehalten ist, auch im Innenteil bleibt ein Viertel des zur Verfügung stehenden Platzes weiß. Auf jeder Seite ein weißer Fleck...
Neues Format
Die Direktion hat sich für die falscheste aller Maßnahmen entschieden, so auch das vernichtende Urteil von Martine Simonis vom Journalistenverband AJP. Der Arbeitsplatzabbau ist desaströs, ebenso wie die Entscheidung hinsichtlich eines neuen Formates.
Tatsächlich soll L'Avenir künftig auch ein neues Format bekommen. Bislang ist es ein geheftetes Hochformat, das sich also einfach blättern lässt. Künftig soll L'Avenir aber im sogenannten "Berliner Format" gedruckt werden, also vergleichbar etwa mit Le Soir oder dem GrenzEcho. Das ist freilich Geschmackssache, nur hatten sich die L'Avenir-Leser bislang gegen ein solches Format ausgesprochen, sagt auch die Journalistin Audrey Ronlez.
Das neue Format kommt nicht ungefähr. Wie auch Audrey Ronlez betont, hat das in erster Linie damit zu tun, dass L'Avenir künftig bei Rossel gedruckt werden soll. Nur: Rossel ist "zufällig" auch der Verleger von Sudpresse, dem großen Konkurrenten von L'Avenir auf dem Markt der Regionalzeitungen. Und da muss man kein Verschwörungstheoretiker sein, um zumindest zu vermuten, dass das nur der erste Schritt ist hin zu einer möglichen Fusion beider Blätter.
Das wäre ein Riesenfehler, warnt Martine Simonis vom Journalistenverband AJP. Hier gehe es letztlich um Meinungsvielfalt. Verschiedene Blätter, das heißt: verschiedene Herangehensweisen, unterschiedliche Themen und Meinungen. Jede Fusion sorgt dafür, dass die Nachrichteninhalte verarmen. Sie könne sich nicht vorstellen, dass das im Sinne der politisch Verantwortlichen in der Wallonie sei, sagt Simonis.
Existenzkrise
Bei L'Avenir geht es also ab jetzt vielleicht sogar um die Existenz. Dabei schien die Krise lange Zeit fast schon an der Regionalzeitung vorbeigegangen zu sein. Viele eher überregional ausgerichtete Zeitungen haben ihre Rosskuren nämlich eigentlich schon hinter sich. L'Avenir erschien da fast wie die buchstäbliche Ausnahme, die die Regel bestätigt. L'Avenir hat bis 2015 Gewinn gemacht, unterstreicht Martine Simonis - sieben Jahre Gewinn, als andere am Hungertuch nagten. L'Avenir war krisenresistent, bis Nethys die Zeitung übernommen hat.
Ja, richtig gehört: L'Avenir gehört der Lütticher Nethys-Holding, also der Publifin-Tochter, die für so viel Wirbel gesorgt hatte. Die Übernahme der Zeitung durch Nethys hatte seinerzeit auch schon für hörbares Naserümpfen gesorgt.
Die Existenzkrise der Presse hat jetzt also auch die Regionalblätter erfasst. Und mehr denn je brauchen wir jetzt kompetente Macher, die was von Presse verstehen, sagt Martine Simonis, und nicht irgendwelche Zauberlehrlinge, die irgendwann mal morgens entschieden haben, eine Zeitung zu übernehmen.
Roger Pint