Anders als gewohnt fanden die größten Kundgebungen der Gewerkschaften diesmal nicht in Brüssel statt. In der Hauptstadt kamen nach Angaben der Polizei rund 4.000 Demonstranten zusammen. In La Louvière waren es um die 10.000, gar 15.000 sollen es wohl in Antwerpen gewesen sein.
Die Zahlen schwanken ein wenig je nach Quelle, aber zeigen immerhin: Am Ziel vorbei führte die Gewerkschaftsaktion nicht. So dass der Präsident der sozialistischen Gewerkschaft FGTB, Robert Verteneuil, mit ein bisschen Recht sagen konnte: "Die wallonische Bevölkerung fühlt sich betroffen von den Dingen, für die wir protestieren."
Grundsätzlich ging es den christlichen, liberalen und sozialistischen Gewerkschaften bei ihrem gemeinsamen Protest um eine Änderung der Rentenpläne der Regierung. Mit vielem sind die Gewerkschaften nicht einverstanden. Im Zentrum stehen die Erhöhung des Rentenalters von 65 auf 67 Jahre, die Anerkennung von ziemlich vielen Berufen als "schwere" Berufe, um eine Frühverrentung möglich zu machen und die Beibehaltung der Regel, dass man mit 55 Jahren etwas weniger als 100 Prozent arbeiten darf. Die Regierung will das Alter für den Beginn dieses Zeit-Kredits am Ende der Berufskarriere auf 60 Jahre erhöhen.
Miranda Ulens von der sozialistischen Gewerkschaft in Flandern (ABVV) fasste die Ziele der Protestaktion wie folgt zusammen: "Es geht darum, die tägliche Arbeit erträglich zu gestalten. Dafür zu sorgen, dass die Menschen gesund in Rente gehen können und dass auch junge Menschen Chancen auf Renten haben können. Darum geht es." Die Reformpläne der Regierung würden das nicht gewährleisten.
Arbeiten bis 67 Jahre, das würde das Risiko erhöhen, dass viele Arbeitnehmer am Ende der Karriere krank oder gar arbeitsunfähig würden. Weil sie die Arbeit körperlich einfach nicht mehr schaffen könnten. Dann würden sie dem Gesundheitswesen auf der Tasche liegen, sagte Chris Vanmol von der christlichen Gewerkschaft CSC. Und dann bekommen wir an dieser Front eine Verschärfung der Probleme.
In den Worten von FGTB-Präsident Verteneuil hört sich das Regierungskonzept so an: "Das, was die Regierung heute macht, lässt sich mit den Worten zusammenfassen: Kämpfen, kämpfen, und nochmals kämpfen gegen die Misere. Wenn jemand jung ist, muss man kämpfen, um einen Job zu bekommen. Wenn man eine Arbeit hat, kämpft man ständig gegen die Misere, weil der Job meist schlecht bezahlt und unsicher ist und man großem Druck ausgesetzt ist. Und wenn man am Ende seiner Berufszeit angelangt ist, heißt es wieder: Kämpfen gegen die Misere. Denn dann bekommt man eine verschwindend kleine Rente."
So oder ähnlich hatte man all das schon einmal gehört. Nämlich auf der Brüsseler Großdemonstration im Mai. Seitdem scheint es bei den Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Regierung keine Fortschritte gegeben zu haben. "Wir tun alles, was wir können, um gut zu verhandeln. Es stehen noch zwei Verhandlungsrunden an. Es ist sehr schwer zurzeit, mit der Regierung zu verhandeln. Aber wir bleiben davon überzeugt, dass wir noch etwas herausschlagen können", sagt Miranda Ulens.
Neben den Protesten wurde auch gestreikt. Nirgends wirklich flächendeckend. Aber überall fielen in unterschiedlicher Intensität Busse, Trams und U-Bahnen aus. In Charleroi lief im öffentlichen Nahverkehr zeitweise gar nichts mehr. Für Eupen wurden am frühen Nachmittag 30 Prozent des normalen Verkehrs gemeldet. In der Provinz Luxemburg fuhren angeblich 78 Prozent der Busse wie üblich.
Seitens der Regierung gab es bis zum späten Nachmittag keine offizielle Reaktion zu den Protesten.
Kay Wagner