"Niemand kann es garantieren", sagt Energieministerin Marie-Christine Marghem. Und sie meint damit nicht die Lottozahlen vom nächsten Samstag, sondern nichts weniger als die Versorgungssicherheit. Konkret: Ob wir im November in Belgien genug Strom haben werden, das könne sie eben nicht garantieren. Niemand könne das, fügt Marie-Christine Marghem in der VRT-Fernsehsendung Terzake aber gleich hinzu. Jeder, der sich objektiv die derzeitigen Zahlen anschaue, müsse auf der Grundlage zu dem Schluss kommen, dass man nicht zu hundert Prozent garantieren kann, dass die Wahrscheinlichkeit, dass der Abschaltplan aktiviert werden muss, gleich null ist.
Die Formulierung dieses Satzes spricht eigentlich schon Bände. Das entspricht nämlich genau dem Eindruck, den die Opposition hat und den auch einige Leitartikler am Donnerstag nochmal hervorheben. Der Eindruck nämlich, dass die Energieministerin im Grunde auch nur "feststellen" kann, dass sie quasi zusammen mit der Öffentlichkeit das Problem "entdeckt".
Im Grunde sei das auch so, verteidigt sich die MR-Politikerin. Sie sei auch davon abhängig, was ihr Electrabel sagt, also der Betreiber der Atomkraftwerke. Und das Unternehmen habe eben erst am vergangenen Freitag mitgeteilt, dass - wider Erwarten - im November nur noch einer der sieben belgischen Atomreaktoren am Netz sein würde. Und seit dieser Ankündigung arbeite sie quasi Tag und Nacht an der Lösung des Problems.
Suche nach Megawatt
Mit einem ersten Erfolg: Am Mittwoch konnte die Energieministerin verkünden, dass sie zusammen mit Electrabel schon 750 Megawatt ausfindig gemacht habe, die also zusätzlich zur Verfügung stehen. Wobei man natürlich unter Hochdruck nach weiteren Kapazitäten suche.
"Mag ja sein", sagen insbesondere die Grünen und Sozialisten im Parlament. Wenn das Ganze nicht so chaotisch wirken würde. Genau deswegen wird Marghem auch von einigen Leitartiklern in den großen Zeitungen richtiggehend abgeschossen.
Beispiel: Am Mittwochvormittag musste Marghem den Abgeordneten im Parlament Rede und Antwort stehen. Die wollten natürlich ein möglichst genaues Bild. Marghem kam aber alleine. Viele hätten sich gewünscht, dass sie auch einen Verantwortlichen von Elia mitgebracht hätte, dem Betreiber der Hochspannungsnetze. Was Projektionen in punkto Versorgungssicherheit angeht, so ist das eigentlich der Ansprechpartner.
Besorgniserregende Zahlen
Im Laufe des Tages begannen dann aber neue Zahlen von Elia zu kursieren. Besorgniserregende Zahlen. Demnach fehlten nach Berechnungen der Experten rund 1.700 Megawatt, um eine Versorgungssicherheit wirklich garantieren zu können. Elia hat da schon alle Faktoren mit einbezogen, also auch die Möglichkeit, Strom aus dem Ausland einzuführen. Diese Zahlen wurden aber erst am Mittwochabend offiziell bestätigt - per Kommuniqué. Und dann auch von der Energieministerin persönlich in der VRT.
Gut, 750 Megawatt hatte Marghem in der Zwischenzeit ja schon gefunden. Unterm Strich fehlen dann aber immer noch 1.000 Megawatt. 1.000 Megawatt, das entspricht "Pi mal Daumen" der Leistung von einem der vier großen Atomreaktoren. Das ist also nicht nichts. Und entsprechend denkt die Ministerin denn auch darüber nach, einen Meiler dann notfalls doch wieder hochzufahren.
Die Reaktoren leiden ja im Wesentlichen alle am gleichen Problem. Nennen wir es mal "Betonsklerose". Der Beton an Bunkergebäuden im nicht-nukleare Teil der Anlagen muss erneuert werden. Man werde zusammen mit der Atomaufsichtsbehörde Fank der Frage nachgehen, ob es nicht möglich ist, die Reparaturarbeiten in einer der Anlagen anders zu staffeln oder zu beschleunigen. Dies aber natürlich immer in Einklang mit den geltenden Sicherheitsnormen.
"Das große Chaos"
Das war also am Mittwochabend, am Ende eines Tages mit einer völlig ungeordneten Informationslage. Die heutige Titelseite der Zeitung Le Soir sagt denn auch alles: "Das große Chaos".
Marghem verweist ihrerseits darauf, dass schon bei ihrem Amtsantritt Versorgungsengpässe drohten und die Regierung schon viel getan habe, um Abhilfe zu schaffen. Auch gebe es inzwischen einen Energiepakt. Und sie sehe es auch nicht ein, dass der Verbraucher über höhere Preise am Ende die Zeche für die Situation zahlen müsse. Nach wie vor prüfe man die Möglichkeit, diese Rechnung an Electrabel weiterzureichen.
Das alles ändert aber erstmal nichts am Gesamteindruck. Den brachte die PS-Abgeordnete Karine Lalieux anschaulich auf den Punkt. Sie wandte sich an Marghem mit den Worten: "Sie tappen im Dunkeln und das gilt bald buchstäblich für das ganze Land".
Roger Pint