Man stelle sich vor: Jemand hat eine seltene, vielleicht sogar tödliche Krankheit und erfährt, dass ein Pharmaunternehmen ein zwar vielversprechendes aber teures Medikament auf den Markt bringen will. Und obwohl es kaum wissenschaftliche Beweise für die Wirksamkeit gibt, besteht in Belgien die Möglichkeit, die Medikamentenkosten von der Krankenkasse rückerstattet zu bekommen.
Lösung ist ein sogenannter Artikel-81-Vertrag, den der Staat mit Pharmaunternehmen abschließen kann. Unter gewissen Bedingungen und mit einem kleinen Rabatt, den die Pharmaunternehmen gewähren sollen, wird während zwei bis drei Jahren eine Rückerstattung ermöglicht. Erst danach wird das Ganze evaluiert. Klingt vernünftig, hat aber auch einen Nachteil: Die Verhandlungen finden hinter verschlossenen Türen statt und die Vertragsdetails sind geheim.
Und teuer ist das auch noch. Es soll derzeit um 87 Medikamente gehen mit einem Gesamtvolumen von einer Milliarde Euro, immerhin sage und schreibe ein Viertel der Gesamtausgaben für Medikamente in Belgien. Das Budget soll für dieses Jahr schon um 300 Millionen Euro überschritten sein.
Gesundheitsministerin Maggie De Block steht deswegen auch in der Kritik. Da sie sehr oft auf Artikel-81-Verträge zurückgreift, würde sie es der Pharmaindustrie zu leicht machen, klingt es. Und es soll noch mehr werden, befürchten Experten. Sie sagen, aus einer sinnvollen Notlösung sei eine teure Gewohnheit geworden.
Bedingung für einen Artikel-81-Vertrag ist, dass es ein innovatives Medikament sein muss. Meistens geht es dabei um Mittel gegen Krebs, zum Beispiel für eine Immuntherapie, oder aber um sehr seltene Krankheiten, wie die Muskelerkrankung Spinraza oder chronische Hepatitis C.
Alle Pharmaexperten sind sich einig: Mit den geheimen und intransparenten Artikel-81-Verträgen muss Schluss sein. Es gebe auch kein anderes Land, das solch ein System hat.
Uneinig ist man sich aber darüber, wie man es anderes machen könnte. Die einen wollen, dass die Pharmaunternehmen klar und deutlich kommunizieren, wie ihre Preise zustande kommen. Stichwort: Forschungs- und Entwicklungskosten. Andere plädieren für ein "de-linkage"-Finanzierungsmodell: Die Regierung entscheidet was nützlich und notwendig ist, und gibt einem Pharmaunternehmen den Auftrag zu forschen. So seien die Unternehmen nicht mehr darauf angewiesen, über hohe Gewinne ihre Entwicklungskosten zu finanzieren, d.h. die Verkaufspreise wären viel näher an den tatsächlichen Produktionskosten.
Volker Krings