1. August 1993, 7:30 Uhr - Sonderausgabe der Fernsehnachrichten der RTBF. Die Schreckensmeldung aus dem Mund von Moderator Jacques Bredael: "Der König ist tot". Der eine oder andere mag schon so etwas geahnt haben, denn schon in der Nacht hatten die Radiosender damit begonnen, Mozart zu spielen. "Es muss etwas Schlimmes passiert sein", hat man sich da wohl gedacht. Internet, Smartphones mit Eilmeldungen, all das gab es ja noch nicht.
Am Abend des 31. Juli habe er einen Anruf bekommen, erinnerte sich der damalige PSC-Vizepremier Melchior Wathelet. Jacques van Ypersele de Strihou, der Kabinettschef des Königs, habe ihn sprechen wollen. Premier Jean-Luc Dehaene war nicht erreichbar. Wathelet selbst war aber nicht zuhause, also habe ihm seine Frau gesagt, dass er doch bitte zurückrufen möge. Es gab ja noch keine Handys. Erst habe ihm van Ypersele eröffnet, dass der König in seinem Ferienhaus in Motril einen Herzanfall erlitten habe. Eine dreiviertel Stunde später dann die traurige Nachricht: Der König ist tot.
Das Herz hatte versagt. Und das kam dann doch nicht ganz aus heiterem Himmel. Zwei Jahre zuvor hatte sich der König einer Operation am offenen Herzen unterziehen müssen.
"Der König ist tot". Die Nachricht schlägt ein wie eine Bombe. Man hatte Baudouin doch gerade noch gesehen, am Nationalfeiertag, zehn Tage zuvor. Da sah er noch fit aus, wie immer eben. Damit hatte niemand gerechnet. "Nie im Leben", erinnert sich Wathelet. "Nie hätte auch nur irgendjemand geahnt, dass der König uns in dem Moment verlassen könnte."
Innerhalb kürzester Zeit kommt das ganze Land zum Erliegen. Es ist, als stehe Belgien buchstäblich unter Schock. Die Menschen sind erschüttert: "Der König hat uns verlassen". Die Belgier können es nicht fassen. Viele von ihnen haben nie einen anderen König gekannt. Gerade vor zwei Jahren erst hatte Baudouin sein 40. Thronjubiläum gefeiert.
Le roi triste
Am 17. Juli 1951 hatte er den Eid auf die Verfassung abgelegt. Da war er nicht mal 21 Jahre alt. Ein Jahr zuvor war der junge Baudouin schon zum "Königlichen Prinzen" ernannt worden. Das alles inmitten eines enormen politischen Chaos, weil viele Belgier seinen Vater, König Leopold den Dritten, nicht mehr auf dem Thron sehen wollten. Viele machten ihm seine Haltung während des Krieges zum Vorwurf. Ein Referendum über diese "Königsfrage" hätte das Land um ein Haar gespalten.
Ein denkbar unglücklicher Auftakt für den neuen König Baudouin, der viel zu jung in einer derart vergifteten Atmosphäre ein so schweres Amt übernehmen musste. Und zunächst trägt er auch schwer daran, was man ihm ansieht. Er bekommt den Beinamen: "Le roi triste", der traurige König.
Das ändert sich erst durch eine Begegnung, die sein Leben verändern sollte. Am 15. Dezember 1960 heiratet Baudouin Doña Fabiola de Mora y Aragón. Baudouin und Fabiola verband nicht nur eine innige Liebe, beide waren das perfekte Team. Und beide liebten den Kontakt mit den Menschen. Sie teilten Freud und Leid der Belgier, das Königspaar war immer da, wenn es darum ging, den Bürgern beizustehen oder ihnen Trost zu spenden.
Vater der Nation
Über all die Jahre wurde Baudouin dadurch für viele zu so einer Art "Vater der Nation". Das hatte auch mit seinem Charakter zu tun. Der Mann hatte eine unglaubliche Aura - ein "guter Mensch", das fühlte man. Und oft standen auch Themen wie Gerechtigkeit oder Menschlichkeit im Mittelpunkt seiner Reden.
Doch Baudouin war auch ein sehr politischer König. Oft brach er eine Lanze für die Einheit des Landes, die Einheit in der Vielfalt. Er hatte auch früh erkannt, dass an einer Regionalisierung des Landes wohl kein Weg vorbeiführen würde.
Wie seine Frau Fabiola war Baudouin aber auch ein sehr gläubiger Mensch. Das motivierte ihn 1990 zu einem spektakulären Schritt: Baudouin weigerte sich, ein Gesetz gegenzuzeichnen, das die Liberalisierung der Abtreibung vorsah. In einem Brief, den der damalige Premierminister Wilfried Maertens seinerzeit im Parlament verlas, machte der König einen Gewissenskonflikt geltend.
Damit löste der König eine schwere Staatskrise aus, die dank des landestypischen politischen Geschicks aus der Welt geschaffen werden konnte. Die Menschen haben das dem König nicht übelgenommen. Für sie war Baudouin eben diese Vaterfigur und zudem der Garant für die Einheit des Landes.
Beeindruckender Abschied
Und für viele brach vor genau 25 Jahren denn auch eine Welt zusammen. Zu Hunderttausenden pilgerten die Belgier denn auch in den ersten Augusttagen nach Brüssel, um persönlich Abschied nehmen zu können. Der frühere BRF-Kollege Rudi Klinkenberg war seinerzeit dabei und berichtete: "Der vor mir liegende Platz vor dem Königlichen Stadtschloss bietet immer noch das seit gestern früh vertraute Bild: eine unüberschaubare Menschenmenge, viele Zehntausend Landsleute, die geduldig und in bewundernswerter Ruhe und Gelassenheit darauf warten, dass sie an der Reihe sind."
Zur Beisetzung kommen Staatschefs aus der ganzen Welt, sogar der japanische Kaiser. Königin Fabiola ist zwar sichtlich sehr gezeichnet aber dennoch ganz in weiß. Der damalige Primas der belgischen Katholischen Kirche, Kardinal Gottfried Danneels, hielt eine bewegende Predigt und sagte dabei auch ein paar Worte auf Deutsch: "Wir danken Ihnen und haben eine Bitte, die sie uns nicht verweigern können: Bitte beten Sie für uns!"
Frage war dann noch: Wer soll diesem König nachfolgen? Die Ehe von Baudouin und Fabiola war ja kinderlos geblieben. Also rechnen alle mit Prinz Philippe, dem Sohn Baudouins Bruder Albert. Bis zur Fernsehrede des damaligen Premiers Dehaene. Albert blieb zunächst in der Kontinuität, nahm den Weg, den sein Bruder vorgezeichnet hatte. 20 Jahre blieb Albert auf dem Thron, bis er vor fünf Jahren das Amt an seinen Sohn weitergab.
König Philippe, der seinen Onkel sehr geschätzt hat, erinnerte noch in seiner Rede zum Nationalfeiertag an König Baudouin, den er nach wie vor als Vorbild betrachtet. Wie auch schon die Zeitung L'Avenir schrieb: "25 Jahre nach seinem Tod erfüllt der Geist von König Baudouin also immer noch die Mauern des Palastes".
Roger Pint