Elio Di Rupo hat König Albert dem Zweiten am Nachmittag einen Zwischenbericht vorgelegt. Zugleich hat er das Staatsoberhaupt um eine Verlängerung seiner Mission gebeten. Di Rupo soll ja als so genannter "Prä-Regierungsbildner" den Boden bereiten für die eigentlichen Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung.
Dieser Prozess, also die Gespräche über das neue Koalitionsabkommen, hat auch knapp 50 Tage nach der Wahl immer noch nicht wirklich begonnen. Doch muss das immer noch kein schlechtes Zeichen sein: NOCH zumindest gibt es keinen Grund zu Panik.
Knapp 50 Tage nach der Wahl. Und so mancher wird ungeduldig. Vor allem die flämische Presse hat in den letzten Tagen merklich den Druck erhöht, nach dem Motto: "Jetzt wird es aber Zeit!". Oder: "Die stehen ja immer noch mit leeren Händen da!".
Andere üben sich schon im Vogelflugdeuten. Die RTBF etwa konnte unlängst im Fernsehen mit exklusiven Bildern aufwarten: Die Kamera hatte einen Blick in den Wagen von Joëlle Milquet geworfen. Und siehe da: Ein Dossier lag auf dem Beifahrersitz. Auf dem Etikett, eine explosive Aufschrift: "BHV und Brüsseler Rand". Wer hätte das gedacht? Man redet über Brüssel-Halle-Vilvoorde! Man darf sich fast schon darüber wundern, dass der RTBF-Journalist nicht aus dem Umfang der Akte herauslesen wollte, wie weit die Gespräche gediehen sind...
Beide Anekdoten sind letztlich Illustration dessen, was die derzeitige Geheimniskrämerei für Blüten treibt. Die einen versuchen, durch provokative Kassandrarufe die Verhandlungspartner aus der Reserve zu locken; die anderen werden am Ende – in Ermangelung konkreter Infos - noch "Paul den Kraken" im Oberhausener Aquarium dazu befragen, wo die Verhandlungen stehen.
So frustrierend das Ganze für Medien und Beobachter auch sein mag, und so undemokratisch das vielleicht auch anmuten könnte: Diese Diskretion ist für die Verhandlungen überlebenswichtig. Im Umkehrschluss: So lange die Mauer des Schweigens steht, ist das ein Zeichen dafür, dass noch alles im grünen Bereich ist.
In der Zwischenzeit gilt nur eins: Die Inszenierung muss stimmen. So zynisch es klingen mag: Wichtig ist derzeit allein, Medien und Öffentlichkeit bei Laune zu halten. Das ist im Grunde schon seit dem 14. Juni zu beobachten: Bart De Wever war knapp drei Wochen lang Informateur. Damit er sich nicht irgendwann mit Vertretern von vietnamesischen Schützenvereinen unterhalten musste, war ein Stabwechsel nötig. Und der ist ja dann auch erfolgt.
Elio Di Rupo ist nun auch schon wieder seit drei Wochen Prä-Regierungsbildner. Nachdem es ursprünglich geheißen hatte, es fehlten nur noch wenige Tage, nur noch etwas größere Schnittmengen, um mit der eigentlichen Regierungsbildung beginnen zu können. Dass Di Rupo jetzt den König um eine zweiwöchige Verlängerung seiner Mission gebeten hat, ist also der erste dramaturgische Hänger.
Im Sinne einer logisch-nachvollziehbaren Inszenierung war es nämlich eigentlich wieder an der Zeit, dass sich – äußerlich - etwas tut, dass eine neue Stufe gezündet wird. Um denn auch beim Kaffesatzlesen zu bleiben: Dass Di Rupo noch nicht die Mütze gewechselt hat, ist bestimmt kein Zeichen dafür, dass es epochale Fortschritte gegeben hat. Genau das Gegenteil ist wahrscheinlicher: Der Motor, der knapp 50 Tagen lang – fast schon verdächtig - leise geschnurrt hat, ist plötzlich ins Stottern geraten.
Mit ein wenig gutem Willen sind die derzeitigen Entwicklungen aber auch noch in die Kategorie "normal und nachvollziehbar" einzuordnen. Es wäre doch zu schön, wenn PS, NV-A und die fünf anderen innerhalb von 50 Tagen das geschafft hätte, was andere in mitunter 50 Jahren nicht geschafft haben. Den belgischen Staat krempelt man nicht eben über Nacht um. Und dieser Eindruck darf eigentlich auch nicht entstehen…
Eben alles eine Frage der Inszenierung. Jetzt also: ein Zwischenakt: Ferien. Da kann die Zeitung "De Standaard" auch noch so toben, Urlaub müsse man sich erst verdienen. Man sollte doch bitte auf dem Teppich bleiben: Vor drei Jahren hatten sich die Verhandlungspartner keine Atempause gegönnt. Resultat: Am Ende gab es den klassischen Lagerkoller, wären sie sich buchstäblich fast ans Leder gegangen.
Eine Woche Ferien. Das erlaubt es, die Batterien wieder aufzuladen; das bringt den längst überfälligen Tapetenwechsel. Doch vor allem: Das schaufelt noch einmal Zeit frei. Denn keine Sorge: Di Rupo und De Wever, die mehr denn je als Tandem auftreten und die zudem keine Atempause einlegen werden, dürften die Zeit nutzen. Jetzt gilt es nämlich, erste Hand an Kompromisstexte zu legen.
Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es also noch keinen Grund zur Panik. In zwei Wochen jedoch endet der "Etat de grâce", dann stehen Di Rupo, De Wever & Co nicht mehr unter Welpenschutz, dann schlägt die erste "Stunde der Wahrheit". Spätestens dann sind nämlich alle dramaturgischen Kniffe ausgeschöpft, muss ein neuer Akt in dem Brüsseler Stück beginnen. Ansonsten stimmt die Inszenierung nicht mehr, was mit einem Mal ersichtlich werden lässt, dass man in einer Sackgasse steckt. Und dann werden sich explosionsartig all jene Kräfte entfesseln, die man durch die Geheimniskrämerei unter dem Deckel gehalten hat.
Doch kann letztlich die beste Dramaturgie allein auch das Stück nicht retten. Konkret: Am Ende muss es immer noch ein Abkommen geben, von dem man nach wie vor behaupten darf, dass es im Grunde die Quadratur des Kreises beinhalten muss. Die Inszenierung ist allenfalls Mittel zum Zweck. Ist sie gut, dann erlaubt das es den Verhandlungspartnern, zu arbeiten. Zumindest ist das derzeit NOCH gegeben.
Die Situation zusammenfassen kann man, indem man ein Zitat des Deutschrockers und Eierlikörliebhabers Udo Lindenberg bemüht, der da textete: "Keine Panik… auf der Titanic…".
bild:belga