Das alles war für Prä-Regierungsbildner Elio Di Rupo offenbar Grund genug, per Kommuniqué zu Ruhe und Besonnenheit aufzurufen. Nichts desto trotz fühlen sich immer mehr Beobachter an den Sommer 2007 erinnert, als die Regierungsverhandlungen erst im Sande verliefen und dann in einem Debakel mündeten.
38 Tage war es ruhig geblieben. Und dann gab's einen "Bug", einen Programmfehler.
Bart De Wever und dann auch Elio Di Rupo war es ja zunächst gelungen, den Ball flach zu halten. Die Regierungsverhandlungen verliefen in einer Atmosphäre äußerster Diskretion. Und damit kehrte auch Besonnenheit ein. Die Krise schien wie weggeblasen, Hoffnung machte sich breit, dass man doch ohne große Nervenkrisen und vielleicht sogar vergleichsweise schnell eine Regierung auf die Beine stellen würde.
Am Nationalfeiertag kam der Adrenalinschub. Erst trat Elio Di Rupo höchstpersönlich vor die Presse und gab indirekt zu, dass er keine Regierungsmehrheit zusammenbekommt, die von sich aus über die Zweidrittelmehrheit verfügen würde.
Wer ist schuld? Di Rupo hält sich noch eher bedeckt, doch weiß man inzwischen: ECOLO will nicht ohne das flämische Pendant Groen!. Groen! wiederum ist von der N-VA nicht erwünscht. Wem das noch nicht klar war, dem half später CDH-Chefin Joëlle Milquet auf die Sprünge: wer eine Staatsreform aushandele, der müsse auch in der Regierung sitzen, hieß es in einem CDH-Kommuniqué. Mehr oder weniger direkt rief sie die Grünen auf, Verantwortung zu übernehmen. Ob Joëlle Milquet da mit dem Segen von Di Rupo handelte: Spekulation!
Doch die Grünen zieren sich weiter: ECOLO will nicht ohne Groen! der Koalition beitreten. Wenn Groen! nicht erwünscht ist, dann muss man auch auf ECOLO verzichten. Basta! Gesagt wurde das sinngemäß in Namür, um genau zu sein von ECOLO-Regionalminister Jean-Marc Nollet. Denn inzwischen hatte die Diskussion auch schon die Wallonische Regionalregierung erreicht. Und es raschelte mächtig im Blätterwald. Schon hieß es, die Grünen könnten zur Strafe für ihre föderale Verweigerungshaltung aus der Mehrheit in Namür rausfliegen.
Was also am Nationalfeiertag mit einer kleinen, improvisierten Pressekonferenz begann, hatte knapp 24 Stunden später schon weite Kreise gezogen.
Der nächste Akt folgte in der Zeitung "De Standaard". Joëlle Milquet habe doch recht, wurde da plötzlich die SP.A-Chefin Caroline Gennez zitiert. Wir brauchen eine Regierung, die über eine Zweidrittelmehrheit verfügt, sagte Gennez später auch in der VRT. Das sei Grundbedingung. Ansonsten könne man doch die Staatsreform und auch die Spaltung von BHV gar nicht in Angriff nehmen. Dafür sei eine Zweidrittelmehrheit die beste Garantie.
Die Zeitung De Morgen machte dann den allgemeinen Eindruck perfekt: das Blatt veröffentlichte vermeintliche Teilaspekte einer möglichen Staatsreform. Prinzipiell seien sich PS und N-VA darüber einig, das Kindergeld zu regionalisieren. Das sei schon revolutionär, wird sogar schon ein ungenannter Spitzenpolitiker zitiert.
Spätestens damit war das Tor zu Schloss Val Duchesse aufgeschlossen. Virtuell, versteht sich. Nicht nur, dass man Streitigkeiten öffentlich austrägt, man wirft auch schon Schnipsel eines künftigen Abkommens auf den Marktplatz: man schüttet also genau die Chemikalien zusammen, die schon 2007 die Atmosphäre vergiftet haben.µ
Elio Di Rupo sah sich genötigt, umgehend per Kommuniqué zur Besonnenheit aufzurufen. Bislang sei man erst in der Phase des Ideenaustauschs, suche weiter nach Schnittmengen. Spruchreif sei noch gar nichts, zu interpretieren gebe es auch nichts. Mehr denn je sei Diskretion jetzt absolut unabdingbar: jeder müsse sich artikulieren können, ohne Gefahr zu laufen, dass sein Standpunkt morgen in der Zeitung steht.
Das sehr vorsichtig verklausuliert formulierte Kommuniqué lässt eigentlich nur einen Schluss zu: am Mittwoch ist ein Brand ausgebrochen, der schnell um sich gegriffen hat. Di Rupo und De Wever versuchen gerade, das Feuer auszutreten. Gelingt es ihnen nicht, dann droht ein unkontrollierter Buschbrand.
b/pm