Unerhörte Staatsaffäre oder politischer Blindgänger? An Kasachgate scheiden sich nach wie vor die Geister. Es geht um einen unheimlichen Verdacht. Alles dreht sich um das Gesetz von 2011, das einen gerichtlichen Vergleich möglich macht: Gegen Zahlung einer Geldsumme kann ein Verfahren eingestellt werden.
Fakt ist, dass drei Geschäftsleute mit exzellenten Verbindungen zu Kasachstan mit die ersten waren, die seinerzeit davon profitiert haben. Der inzwischen naturalisierte Milliardär Patokh Chodiew und zwei seiner Kompagnons entgingen so einer wahrscheinlichen Verurteilung durch ein belgisches Gericht. Fakt ist auch, dass genau das im Interesse der Franzosen war. Der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy wollte einen Hubschrauberdeal mit Kasachstan einfädeln, Astana forderte aber als Gegenleistung unter anderem Straffreiheit für das Trio um Chodiew.
Frage also: Wurde das belgische Parlament im Auftrag der Franzosen dahingehend manipuliert, dass das Gesetz über den gerichtlichen Vergleich fristgerecht zustande kam? 16 Monate lang hat ein Untersuchungsausschuss der Kammer diese Geschichte ausgeleuchtet. Jetzt liegt der Abschlussbericht vor.
Keine Einstimmigkeit
Erste Feststellung allerdings gleich vorweg: Über diesen Abschlussbericht herrscht keine Einstimmigkeit. Es ist eigentlich Usus, dass ein Untersuchungsausschuss einhellig eine Reihe von Feststellungen beziehungsweise Empfehlungen macht. Im vorliegenden Fall wird das Dokument aber nur von der Mehrheit getragen, gegen die Stimmen der Opposition.
"Hier werden die Dinge nicht beim Namen genannt", beklagte Georges Gilkinet von Ecolo in der RTBF. Der Text sei entschärft worden, alle allzu kantige Formulierungen, allzu deutliche Kritik an Politikern oder Justizvertretern, all das sei einfach entfernt worden.
Entschärft wurden demnach sogar die Kapitel über die Schlüsselfigur, Armand De Decker. Der MR-Spitzenpolitiker soll ja im Grunde der Verbindungsmann gewesen sein. Er hatte den Kontakt zu den Franzosen, er trat als Anwalt von Patokh Chodiew auf, wobei er gleichzeitig Parlamentarier war. Und manchmal war eben nicht klar, in welcher Funktion er gerade unterwegs war: Als Anwalt oder als Politiker.
Dieses Verhalten, diese Interessenverquickung sei "ethisch inakzeptabel", heißt es in dem Bericht. Gemessen an dem, was man De Decker nachweisen könne, sei das aber sehr harmlos formuliert, kritisiert Georges Gilkinet. Der Mann habe systematisch seine Ämter missbraucht: "Ich kann nicht verstehen, warum - erstens - Armand De Decker nicht schon längst aus seiner Partei geflogen ist, und - zweitens - warum De Decker noch Staatsminister ist", sagt Gilkinet. Hier handele es sich schließlich um einen Ehrentitel, mit dem auch gewisse Pflichten verbunden seien.
Auch ein anderer ist kreuzunglücklich mit dem Abschlussbericht. Und das ist kein geringerer als der SP.A-Parlamentarier Dirk Van der Maelen, der immerhin der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses war. Und weil er so sauer war, dass die Mehrheit der Opposition quasi ihren Bericht "aufs Auge gedrückt" hat, legte Van der Maelen kurzerhand seine eigenen Schlussfolgerungen vor.
In dieser Geschichte gab es ein "blaues Netzwerk", sagt Van der Maelen, und meint damit vor allem die MR, und dieses blaue Netzwerk habe dafür gesorgt, dass das Trio um Patokh Chodiew seine Probleme mit der Justiz losgeworden sei. Allerdings, so gibt Van der Maelen zu: Der schlagende Beweis, die noch rauchende Flinte, die fehlt.
"Jetzt reicht's aber", reagierte aber die MR. Der Vorstoß von Van der Maelen zeuge von "intellektueller Unaufrichtigkeit", wetterte der blaue Fraktionschef David Clarinval. Van der Maelens Verbissenheit mache aus ihm fast schon einen Fall für die Psychiatrie. All die Vorwürfe, die Van der Maelen und Gilkinet da ins Feld führten, das sei alles nicht wahr. Eben diese beiden seien ja schon mit einer fertigen Meinung in die Arbeiten hineingegangen.
Ein Ausschuss, zwei Meinungen. - das ist eigentlich nicht Sinn und Zweck eines Untersuchungsausschusses. Und genau deswegen nannten Zeitungen das Ganze auch schon mit Bedauern eine "politische Verschwendung".
Roger Pint