Langsam aber sicher kann man von einer "Kältewelle" sprechen. Für den Meteorologen ist das dann gegeben, wenn es fünf Tage hintereinander durchgehend gefroren hat. Schuld ist der so genannte "Polarwirbel", der Kaltluft aus der Arktis und Sibirien nach Westeuropa schaufelt.
Diese Luft ist knochentrocken, umso größere Augen wird so mancher gemacht haben, als es am Montag plötzlich zu schneien begann. Eine Ursache, wenn auch vielleicht nicht die einzige, muss man da suchen, wo der Wind herkommt. Im vorliegenden Fall im Osten beziehungsweise Nordosten. Dort liegt das deutsche Ruhrgebiet mit Industrieanlagen wie etwa dem Braunkohlekraftwerk Weisweiler mit seinen Kühltürmen.
"Solche Fabriken können regelrecht Schnee produzieren", sagte der Meteorologe Michel Nulens in der VRT. "Hier wird Wasserdampf in die Atmosphäre gepumpt, der bei den momentanen Temperaturen gefriert. Der Wind trägt diese Eisplättchen dann nach Westen - und hier bei uns kommt das dann als Schneeflocken wieder runter. Man spricht in diesem Fall von 'Industrie-Schnee'."
Schneekanonen in Großformat - so groß, dass die Auswirkungen spektakulär sein können. Stellenweise sind vor allem in der Provinz Limburg durchaus beeindruckende Schneemengen heruntergekommen. Fast aus heiterem Himmel.
"Gefühlt" kälter
Der Wind trägt nicht nur Industrie-Schnee nach Belgien - er macht auch das Ganze kälter, als es ohnehin schon ist. Die "gefühlte" Temperatur liegt jedenfalls nochmal deutlich niedriger als auf dem Thermometer angegeben. Das lässt sich inzwischen auch wissenschaftlich beziffern. "Minus acht Grad bei einem Wind von 45 Kilometern pro Stunde macht eine gefühlte Temperatur von minus 20,7 Grad", sagt der RTBF-Wetterfrosch Denis Collard.
"Gefühlt" heißt aber nicht "eingebildet". Diese gefühlte Temperatur ist durchaus eine auch wissenschaftliche Realität. Der Wind sorgt dafür, dass der Körper zusätzlich Wärme abgibt. Das macht das Ganze also nur noch unangenehmer - "schlimmer" muss man sagen, wenn man von den unmittelbar Betroffenen spricht: von denen, die keine Wahl haben und draußen sind, sei es aus beruflichen Gründen, sei es, weil sie auf der Straße leben.
Obdachlose werden "festgenommen"
Für Obdachlose ist das wohl die fieseste Zeit des Jahres - und die gefährlichste obendrein. Denn: Es ist so kalt, dass man tatsächlich erfrieren kann. Einige Gemeinden haben denn auch beschlossen, die Obdachlosen notfalls sogar unter Zwang in Notunterkünften unterzubringen. Die Polizei hat den Auftrag, diejenigen, die sich weigern, festzunehmen und in ein Auffangzentrum zu bringen.
Er könne nicht schlafen, wenn er wüsste, dass Menschen Gefahr laufen, auf dem Gebiet seiner Gemeinde den Kältetod zu sterben, sagte Vincent De Wolf, Bürgermeister von Etterbeek, in der VRT. Inzwischen sind andere Gemeinden dem Beispiel gefolgt, unter anderem Brüssel-Stadt, aber auch Charleroi und Verviers.
Stromversorgung
Doch wie steht es um die Stromversorgung? In früheren Jahren stand ja auch schonmal die Gefahr eines Blackouts im Raum. "Kein Problem diesmal" sagt aber Jean Fassiaux, Sprecher von Elia, dem Betreiber der Hochspannungsleitungen. Wind- und Photovoltaik-Anlagen drehen seinen Angaben nach auf Hochtouren. Und auch bei den klassischen Kraftwerken gebe es kein Problem, fast alle Atommeiler stünden zur Verfügung.
Dienstagabend und Mittwoch drohten dennoch Verbrauchsspitzen, und da würden auch Stromimporte aus den Nachbarländern nötig. Die Situation sei aber unter Kontrolle, sagt der Sprecher.
Am Freitag soll die Kältewelle abebben. Begleitet werden könnte das von gefrierendem Regen. Immerhin kommt die Luft aber dann nicht mehr aus Sibirien, sondern von den Azoren.
Roger Pint