"Mit einer solchen Rosskur hatten wir wirklich nicht gerechnet", sagt Delphine Latawiec, Nationale Sekretärin für den Bereich Einzelhandel bei der CSC. Beispiel Hypermärkte: "Wir wussten ja, dass einige dieser Geschäfte mit Rentabilitätsproblemen zu kämpfen hatten", sagt Latawiec. "Uns jetzt aber einfach so zu eröffnen, das zwei Hypermärkte ganz geschlossen werden und das innerhalb von vier Monaten - unfassbar."
In Angleur und in Genk, dort also, wo die beiden zum Tode verurteilten Hypermärkte angesiedelt sind, dort sitzt der Schock natürlich besonders tief. Eine CSC-Gewerkschafterin brach in der VRT in Tränen aus. Seit 21 Jahren arbeite sie im Carrefour-Markt in Genk. "Wir fühlen uns ausgenutzt", sagte eine Kollegin. "Nach der letzten Umstrukturierung vor acht Jahren haben wir knallhart gearbeitet und jetzt setzt man uns einfach vor die Tür."
Gerade für Genk in der strukturschwachen Provinz Limburg ist es ein harter Schlag. Quasi stellvertretend dafür stehen Anita Verbiest und Carlos Moreira. Beide mussten schon die Schließung von Ford Genk erleben. Beide haben sich dann aufgerafft und sich bei Carrefour beworben. Und beide sind jetzt schon wieder auf der Straße gelandet.
Doch auch in Angleur, im Einkaufszentrum Belle-Ile, schlug die Info wie eine Bombe ein. Wir haben es satt, so behandelt zu werden. Und wir sind bereit, zu kämpfen, sagt ein FGTB-Gewerkschafter.
Es ist vor allem die Art und Weise, wie die Direktion die Entscheidung verkündet hat. Eiskalt, emotionslos, unbarmherzig. "Wir wollen investieren", sagt Baptiste van Outryve, Sprecher von Carrefour Belgien. "Investieren in den Onlinehandel, in die Digitalisierung, investieren aber auch in die Bio-Schiene. Parallel dazu müssen wir unsere Kosten drücken."
Online-Handel? Bio-Produkte?, erwidert sarkastisch Myriam Delmée von der sozialistischen Angestelltengewerkschaft SeTCa: "Herzlichen Glückwunsch, aber da sind sie 15 Jahre zu spät. Hoffentlich kriegen die heutigen Genies in der Chefetage jetzt die Kurve."
Jetzt steht man aber vor einem Scherbenhaufen. Die Politik kann das eigentlich erstmal nur zur Kenntnis nehmen.. Ihr Handlungsspielraum ist begrenzt. "Wir wollen jetzt aber doch mal von der Carrefour-Geschäftsführung erfahren, was sie zu einem solch drastischen Schritt bewogen hat", sagte Wirtschaftsminister Kris Peeters.
"Wir werden bei der Gelegenheit Carrefour aber auch an seine Verantwortung erinnern", fügt Premierminister Charles Michel hinzu. Zugleich werde die Regierung an der Seite der Gewerkschaften alles daransetzen, um die sozialen Folgen für die Mitarbeiter möglichst zu begrenzen.
Die Regierung will versuchen, die Folgen abzufedern. Das aber offensichtlich nicht um jeden Preis. Finanzminister Johan Van Overtveldt erteilte in der RTBF möglichen Vorruhestandsregelungen indirekt eine Absage. "Wir haben gerade Hochkonjunktur, viele Unternehmen suchen händeringend nach Arbeitskräften" so Van Overtveldt.
Allerdings sind sich alle darüber im Klaren, dass das wohl leider nicht die letzte Entlassungswelle sein dürfte. Das gilt nicht nur für den Einzelhandel. Entwicklungen wie die Digitalisierung oder auch die Robotisierung stellen viele Sektoren vor enorme Herausforderungen. "Wir müssen diese Zeitenwende antizipieren", sagt Vizepremier Kris Peeters, "dafür sorgen, dass die Menschen auch morgen noch eine Perspektive am Arbeitsmarkt haben."
Die Protestaktionen bei der Supermarktkette Carrefour weiten sich unterdessen aus, vor allem in Brüssel und in der Wallonie. Mittlerweile sind 27 Carrefour-Geschäfte geschlossen, weil das Personal in den Streik getreten ist.
rop/est