Es waren die Brüsseler Gemeinden, die die Sache vor etwa zwei Jahren ins Rollen gebracht hatten. Immer häufiger hatten zuvor Standesbeamte in der Hauptstadtregion Brüssel über merkwürdige Fälle berichtet. Männer, die vorgaben, die Väter von Neugeborenen zu sein, obwohl der Standesbeamte da so seine Zweifel hatte.
Ein sehr extremes Beispiel dafür nennt Bernard Guillaume, Schöffe für standesamtliche Angelegenheiten in der Brüsseler Stadtgemeinde Schaerbeek. "Wir haben hier bei uns in Schaerbeek einen Belgier afrikanischer Herkunft, der 18 Kinder von 17 verschiedenen Frauen als Vater anerkannt hat. Von diesen Frauen besaß nur eine eine gültige Aufenthaltsgenehmigung. 16 waren also illegal hier. Das Ziel war also eindeutig, den Müttern eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen", erklärt Guillaume gegenüber der RTBF.
Das Beispiel ist extrem, nicht alle der zehn bis 15 dubiosen Fälle, die in Schaerbeek pro Jahr in etwa vorkommen, seien so. Aber das Beispiel zeige eben gut auf, wo der Haken in der bisherigen Rechtslage lag. Denn obwohl es sehr offensichtlich ist, dass bei diesem Beispiel Betrug vorlag, waren den Standesbeamten in Schaerbeek die Hände gebunden. Sie konnten nichts machen. Denn so lange ein Mann die Vaterschaft für ein Kind vorgibt und die Mutter das bestätigt, muss das so von dem Standesbeamten akzeptiert werden.
Standesbeamte können Bedenken äußern
Genau das sollte sich aber nach dem Willen der Brüsseler Gemeinden ändern. Deshalb kontaktierten sie Justizminister Koen Geens. Der nahm ihr Anliegen auf und ein neues Gesetz wurde verabschiedet. Am 1. April soll es in Kraft treten. Ab dann sollen Standesbeamte ihre Bedenken gegen die angebliche Vaterschaft äußern können und die Vaterschaft überprüfen lassen. Schöffe Guillaume erklärt das wie folgt: "Wir werden in so einem Fall die Anerkennung der Vaterschaft zwei Monate verschieben. In dieser Zeit kann die Staatsanwaltschaft über die Polizei die genauen Umstände herausfinden mit dem Ziel, entweder die Zweifel des Standesbeamten zu bestätigen oder sie zu widerlegen."
Beim föderalen Zentrum für Migration, Myria, stößt das neue Gesetz allerdings auf Kritik. Als föderale Einrichtung kümmert sich Myria um die Rechte von Flüchtlingen und fürchtet: Durch das neue Gesetz könnten die Grundrechte der Kinder verletzt werden. Das Interesse des Kindes sollte bei allen Entscheidungen zur Anerkennung der Vaterschaft im Vordergrund stehen. Deshalb sagt Myria-Mitarbeiter Matieu Beys auch: "Der Kampf gegen Missbrauch ist natürlich legal. Aber nur ein Richter sollte, nachdem er alle Elemente geprüft hat, im Interesse des Kindes eine Entscheidung treffen."
Wohl des Kindes wird missachtet
Ein Standesbeamter sei mit der Entscheidungsfindung laut Myria überfordert. Standesbeamte seien dafür nicht ausgebildet und deshalb oft auch überfordert. Das Gesetz helfe ihnen nicht, denn, so sagt Beys: "Die Kriterien, aufgrund derer eine Entscheidung getroffen werden kann, sind zurzeit extrem vage formuliert in dem Gesetz. Da wird gesagt, dass es ein Zusammenspiel mehrerer Umstände seien kann, die zu einer betrügerischen Absicht führt. Da kann man befürchten, dass jede Gemeinde das unterschiedlich auslegt."
Außerdem beklagt Myria, dass die Eltern zu viele Papiere ausfüllen und vorlegen müssten, zum Beispiel ihre eigenen Geburtsurkunden. Dazu könnten nur biologische Väter eine Entscheidung des Standesbeamten vor Gericht anfechten. Die nicht-biologischen Väter, die aber de facto die Vaterrolle ausüben wollten, könnten keinen Einspruch einlegen. Auch hier würde das Wohl des Kindes nicht geachtet. Myria fordert die Politik auf, das neue Gesetz zu ändern.
Kay Wagner