"Er war eine Persönlichkeit ersten Ranges, der die Geschichte unseres Landes geprägt hat. Auch ein großer Europäer. Wenn Sie erlauben, möchte ich vorschlagen, dass wir uns erheben und eine Schweigeminute zu seinem Gedenken abhalten." So reagierte Premierminister Charles Michel am Donnerstag in der Kammer auf die Nachricht vom Tod Maystadts. Michel, der noch ein Kind war, als die Karriere des Philippe Maystadt Ende der 1970er Jahre richtig losging. Michel, der als Liberaler andere Werte als der überzeugte Christdemokrat Maystadt teilt, aber natürlich als Premier auch um die Verdienste Maystadts für Belgien weiß.
Damit ist Michel nicht der einzige. Aus allem, was Weggefährten oder Parteifreunde am Donnerstag über Maystadt sagten, formt sich das Bild eines sehr menschlichen Mannes, der nicht unbedingt in der ersten Reihe stehen musste, gut über seine Dossiers Bescheid wusste und deren Inhalt verständlich erklären konnte.
Ecolo-Kammerabgeordneter Marcel Cheron, nur neun Jahre jünger als Maystadt, sagt: "Ich erinnere mich daran, dass er die herausragende Fähigkeit besaß, Politik pädagogisch erklären zu können. Er war einer der seltenen Politiker, der auf sehr verständliche Art und Weise sehr komplizierte Sachverhalte der Finanz- oder Haushaltspolitik erklären konnte."
"Historischer Finanzminister"
Einen "sehr liebenswerten Menschen, sehr kompetent" und einen "historischen Finanzminister" nannte der im gleichen Jahr wie Maystadt geborene Eric Van Rompuy den Verstorbenen. Und der CD&V Kammerabgeordnet begründete die historische Dimension wie folgt: "Als er, also Philippe Maystadt, Finanzminister geworden ist, hatte Belgien ein Haushaltsdefizit von mehr als acht Prozent. Zusammen mit Jean-Luc Dehaene als Premierminister und meinem Bruder Herman Van Rompuy als Haushaltsminister hat er eine Politik geführt, die uns erlaubt hat, dem Euro beizutreten."
Auch für den aktuellen CDH-Parteipräsidenten, ein Amt, das Maystadt selbst einmal ein bisschen gegen seinen Willen ausgeübt hatte, würdigte am Donnerstag diesen Verdienst um den Euro. Lutgen sagte in der RTBF: "Er war es, der Belgien und Europa als Finanzminister auf den Eintritt in den Euro vorbereitet hat. Sein Einsatz für Europa war deshalb auch außergewöhnlich bedeutend."
Auf die Schattenseiten von Maystadts Handeln als Finanzminister wollte am Donnerstag keiner verweisen. Nach heutiger Rechnung 571 Millionen Euro verlor der belgische Staat während Maystadts Zeit als Finanzminister, weil Maystadt mit Haushaltsgeldern spekulativ an der Börse gearbeitet hatte. Gleichzeitig wurde Maystadt aber auch für seine Finanzpolitik schon zu Zeiten seines Ministeramtes gewürdigt. 1990 erhielt er den Titel "Europas Finanzminister des Jahres" vom Fachmagazin "Euromoney" verliehen.
"Außergewöhnlicher Pädagoge"
"Er war vor allem ein zurückhaltender, ein effizient und gründlich arbeitender Mensch", sagt Lutgen. "Ein außergewöhnlicher Pädagoge. Eine sehr faszinierende Persönlichkeit, wenn man ihn ein bisschen besser kennenlernte. Denn er war letztlich doch auch ziemlich schüchtern."
Noch kurz vor seinem Tod gab Philippe Maystadt ein letztes Interview. Das ist am Freitag in der Zeitung "Le Soir" zu lesen. Im April hatte er sich mit einem RTBF-Journalisten unterhalten. Dabei sagte Philippe Maystadt im Rückblick auf sein Leben, vielleicht schon in Vorahnung auf seinen baldigen Tod: "Ich sage mir selbst, dass ich das Glück hatte, ein ausgefülltes Leben leben zu können. Ich habe viele interessante Dinge gemacht. Und ich hoffe, dass ich bei diesen Dingen ein bisschen nützlich war."
Staatsminister Philippe Maystadt im Alter von 69 Jahren gestorben
Kay Wagner