Die neue Koalition in Namür ist gerade mal seit vier Monaten im Amt. Die PS war ja ausgebootet und durch die MR ersetzt worden. Eben diese Liberalen hatten aber von Anfang an deutlich gemacht, dass sie einen sichtbaren Bruch mit der Vergangenheit wollten...
Genau das hat offensichtlich dazu geführt, dass der soziale Haussegen in der Wallonie im Moment mächtig schief hängt. Im vorliegenden Fall geht es um den Öffentlichen Dienst. Die Gewerkschaften hatten sich mit der Vorgängerregierung nach zähen Verhandlungen auf ein Abkommen verständigt. Bevor es in Kraft treten konnte, änderten sich aber die Mehrheitsverhältnisse. Und die neue Koalition aus MR und CDH, nun, die will dieses Abkommen jetzt partout nicht umsetzen.
"Und das geht so nicht", wettern die beiden großen Gewerkschaften CSC und CGSP. Und haben jetzt also zum Streik aufgerufen. "Wir haben das Abkommen schon vor Monaten ausgehandelt", sagt Patrick Lebrun, Vorsitzender des wallonischen Flügels der sozialistischen CGSP. Darin geht es insbesondere um die Möglichkeit, die Wochenarbeitszeit von Über-60-Jährigen zu reduzieren. Auch sieht das Abkommen eine Beschleunigung der Prozedur zur Verbeamtung von Vertragspersonal vor. "Und was sehen wir jetzt?", beklagt Patrick Lebrun: Die Regierung hat den Rückwärtsgang eingelegt.
"Nun, die Zeiten haben sich eben geändert. Jetzt ist nunmal eine neue Regierung im Amt", mag man da erwidern. Dieses Argument lassen die Gewerkschaften aber nicht gelten. "Das Abkommen war unterschrieben", sagt Silvana Bossio, Nationale Sekretärin für den Öffentlichen Dienst bei der christlichen CSC, die Tinte war trocken. Und es sei das erste Mal, dass sich eine Regierung nicht an unterschriebene Texte halte und sich weigere, sie umzusetzen.
"Jetzt mal ehrlich, so geht das doch nicht!", fügt die CSC-Gewerkschafterin hinzu. Wenn das so ist, dann könne sie ja auch dafür sorgen, dass die Chefetage bei den Gewerkschaften ausgetauscht wird, um sich dann eben nicht mehr an ein unterzeichnetes Abkommen halten zu müssen. "Dann könnten wir alle sechs Monate alles neuverhandeln." Deswegen also der Streik am Donnerstag im Öffentlichen Dienst, eben um gegen die Haltung der neuen Regierung und vor allem die mangelnde Dialogbereitschaft zu protestieren.
Zweiter Sozialkonflikt
Parallel dazu gibt es aber noch einen zweiten Sozialkonflikt. Zwar zählt die Öffentliche Nahverkehrsgesellschaft TEC wohl auch zum Öffentlichen Dienst, hier kommt aber noch ein Problem obendrauf. Die Regierung will nämlich bei der TEC einen Minimaldienst im Streikfall einführen, in etwa nach dem Vorbild der SNCB. Und dagegen läuft die sozialistische CGSP Sturm.
Nach den Plänen der Regierung sollen unter anderem auch Strafmaßnahmen gegen Mitarbeiter verhängt werden können, die sich an wilden, also unangekündigten Streiks beteiligen. "Hier wird eine rote Linie überschritten", heißt es bei den Roten. "Und wir haben der Regierung von Anfang an klargemacht, dass wir das nicht akzeptieren werden", sagt der CGSP-Vorsitzende Philippe Lebrun.
Was kann man denn gegen einen solchen Minimaldienst haben, reagieren aber die Verantwortlichen. "Was wollen wir machen?", sagt der zuständige CDH-Minister Carlo Di Antonio: "Wir wollen im Falle eines Streiks mit denen arbeiten, die eben arbeitswillig sind." Wenn 20 bis 30 Prozent des Personals zur Verfügung stehen, dann versucht man eben, mit diesen Leuten eine Grundversorgung zu organisieren. In anderen Ländern gebe es auch schon vergleichbare Regelungen.
Und die Politik mache sich hier in gewisser Weise auch zum Sprachrohr der Bevölkerung, ist Stephane Thiery überzeugt, Marketingdirektor bei der TEC. Die Kunden möchten einen Öffentlichen Nahverkehr, auf den man sich verlassen kann, um den man quasi sein Leben organisieren kann.
Beide sind sich einig: Das Streikrecht werde hier, entgegen der Meinung der sozialistischen Gewerkschaft, eben nicht missachtet. Und Minister Di Antonio fügt kämpferisch hinzu: "Die können streiken, soviel sie wollen, wir sind fest entschlossen, das umzusetzen."
Roger Pint