Dass ein Kardinal ganze zehn Stunden lang verhört wird, ist fast schon rekordverdächtig, sicherlich wenn er 77 Jahre alt ist. Widerfahren ist dies am Dienstag dem früheren Oberhaupt der katholischen Kirche Belgiens, Kardinal Godfried Danneels. Wie es aussieht, war diese Vernehmung nicht die letzte, denn die Justiz glaubt, dass der Kardinal ihr noch längst nicht alles gesagt hat. Derweil ist unklar, ob er dazu überhaupt verpflichtet war.
Das zehnstündige Verhör des Kardinals durch die Gerichtspolizei ist zwar in aller Munde, doch viel weiß man nicht über das, was dabei gesagt wurde. Es hieß nur, dass Godfried Danneels schwer angeschlagen gewirkt habe und einige Male sogar den Tränen sehr nahe gewesen sei.
Während der ganzen Vernehmung soll er nichts gegessen haben, sodass die Leute der Gerichtspolzei ihn mehrmals durch einen Arzt hinsichtlich seiner Vernehmungsfähigkeit untersuchen ließen, und der gab jeweils grünes Licht. Danneels musste also den Kelch bis zur bitteren Neige trinken, von 10 Uhr am Vormittag bis gegen 20 Uhr abends.
Ob die Ermittler in Sachen Pädophilie-Vergehen durch Geistliche in diesen zehn Stunden weiter gekommen sind, ist fraglich. Angeblich kann sich Godfried Danneels an nichts erinnern. Der ehemalige Chef der katholischen Kirche Belgiens will von Kindesmissbrauch in der Kirche nichts gewusst haben, doch das Gericht ist offensichtlich vom Gegenteil überzeugt und will ihm beweisen, dass etliche Fälle ihm sehr wohl bekannt waren und er es versäumt hat, sie anzuzeigen.
Deshalb stellt sich die Frage : war er dazu überhaupt verpflichtet? Die Antwort darauf ist selbst unter Fachleuten umstritten. Einig ist man sich lediglich darüber, dass Danneels Fälle von Kindesmissbrauch, die verjährt waren, als er davon erfuhr, der Justiz nicht mitteilen musste.
Komplizierter wird es bei nicht verjährten Fällen, also bei solchen, die weniger als 30 Jahre zurückliegen. Wenn sie ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut wurden, kann er das im Kirchenrecht bestehende Beichtgeheimnis geltend machen, das ihm das absolute Schweigen auferlegt. Doch von der belgischen Justiz wird das Beichtgeheimnis nicht anerkannt.
Wohl aber kann er in seinem Fall das Berufsgeheimnis in Anspruch nehmen, um Informationen über pädophile Vergehen durch Geistliche nicht der Justiz zu melden. Das Berufsgeheimnis sieht allerdings auch Ausnahmen vor. In einer Notsituation wie dem sexuellen Missbrauch von Minderjährigen kann es aufgehoben werden. Konkret bedeutet dies: Der Kardinal darf den Vorfall anzeigen, muss es aber nicht.
Heißt das schlussendlich, dass der Kardinal in keinem Fall wegen des Nicht-Anzeigens von sexuellem Missbrauch Minderjähriger angeklagt werden kann? Nein, nicht ganz. Er kann angeklagt werden, wenn er einem Pädophilie-Opfer, das sich in einer unmittelbar drohenden Gefahr befand, nicht beigestanden hat. Dieser Beistand kann durch das Anzeigen des Täters bei Gericht erfolgen - das hat Kardinal Danneels nicht getan -, der Beistand kann aber auch in anderer Form geleistet werden.
In anderen Worten: es dürfte für das Gericht sehr schwer sein, Kardinal Danneels wegen Fahrlässigkeit oder unterlassener Hilfe von Pädophilie-Opfern anzuklagen. Eine Anklage, so bestätigte heute ein Sprecher der Staatsanwaltschaft in Brüssel, ist auch bislang nicht erfolgt. Allerdings wollte er nicht ausschließen, dass eine solche zu einem späteren Zeitpunkt noch erfolgen könne und dass Godfried Danneels möglicherweise bereits in Kürze einem weiteren Verhör unterzogen werde.
Die Ermittlungen sind jedenfalls von ihrem Abschluss noch weit entfernt.
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bild:belga