Der frühe Dienstagmorgen, etwa 2 Uhr. Vier junge Mädchen stehen am Marie-José-Platz in Ostende, mitten im Zentrum des Seebads und wissen nicht, was sie tun sollen. Die vier Freundinnen hatten den Geburtstag von einer von ihnen gefeiert, 15 ist sie geworden. Das Ganze anscheinend ganz brav bei Limo und Pizza. So hat jedenfalls die Zeitung Het Laatste Nieuws die ganze Geschichte rekonstruiert. Demnach war abgesprochen, dass die vier dann die letzte Tram nehmen sollten, um zurück nach Middelkerke zu fahren, wo der Vater des Geburtstagskindes eine Ferienwohnung angemietet hatte.
Die letzte Tram kam aber um 0:34 Uhr. Und, wie das eben manchmal so ist, die vier Mädchen haben sie verpasst. Was jetzt? Ihren Vater in Middelkerke anzurufen, das hat sich das Geburtstagskind nicht getraut. Erstmal stehen sie also da herum, bis kurz vor 2 ein Auto anhält. An Bord sind schon drei Leute, zwei junge Männer und eine junge Frau, alle drei frankophon. Der Fahrer fragt die Mädels, ob er sie mitnehmen kann. Die vier stecken die Köpfe zusammen, am Ende willigen sie ein. Zwei quetschen sich hinten rein, die beiden anderen setzen sich jeweils auf den Schoß. Mit jetzt sieben Leuten im Auto geht's weiter.
Polizeikontrolle
Schnell bereuen die vier Mädchen aber, dass sie eingestiegen sind. Der junge Fahrer brettert wild durch das Zentrum von Ostende und macht dabei auch allerlei Kabinettsstückchen. Bis der Wagen an einer Polizeikontrolle ankommt, an der Alfons Pieterslaan, einer der großen Verkehrsachsen. Der Wagen hält an. Zwei der vier Mädchen profitieren von der Situation, reißen die Türen auf und springen aus dem Wagen.
Bevor die beiden anderen folgen können, gibt der Fahrer aber schon Vollgas. Aus Sicht der Polizeibeamten ergab sich also folgendes Bild: "Ein Wagen ergreift bei einer Polizeikontrolle die Flucht, nachdem zwei Mädchen aus dem Auto gesprungen waren und die hinteren Türen noch offenstehen. Der Wagen verschwindet mit hoher Geschwindigkeit, verfolgt von einer Motorrad-Streife", sagt Yves Segaert-Vanden Bussche von der Staatsanwaltschaft Brügge.
Und jetzt nimmt das Unglück seinen Lauf. Der Fahrer fährt schneller und schneller. 160 km/h stehen irgendwann auf dem Tacho des Peugeot 207 - und das mitten in Ostende. Eines der beiden Mädchen ist noch so geistesgegenwärtig und legt den Sicherheitsgurt auf der Rückbank an. Sie schreibt auch noch eine Not-SMS, die sie an den ersten Eintrag in ihrem Adressbuch schickt, und dann kracht es. Der Fahrer verliert bei vollem Tempo die Kontrolle und rasselt in eine Baustelle, der Wagen überschlägt sich.
Den Rettungskräften bietet sich fast schon ein Bild der Verwüstung. Vier der fünf Insassen sind schwer verletzt. Weil der Unfallwagen sogar eine Gasleitung beschädigt hatte, wurde sogar einen Moment lang der Notfallplan ausgelöst. Nur einer fehlt, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft. Als die Feuerwehrleute den Wagen aufgeflext hatten, stellten sie fest, dass der Fahrer abgehauen war. Das hätten auch die Bilder von Überwachungskameras bestätigt, sagt Segaert-Vanden Bussche.
Fahrer verschwunden
Der junge Unfallfahrer wurde inzwischen identifiziert. Es handelt sich um den 18-jährigen Pierre B. aus Le Roeulx bei La Louvière (Provinz Hennegau). Der Junge gilt in seinem Viertel offensichtlich seit Jahren als "Problemfall".
Mit jedem Tag wird die Geschichte aber seltsamer. Erstens: Der Unfallwagen hatte ein französisches Kennzeichen und stand auf der Fahndungsliste, anscheinend war der Wagen im Nordfranzösischen Valenciennes gestohlen worden. Zweitens: Laut Het Nieuwsblad wurden in dem Auto zwei Waffen entdeckt. Deswegen werde Pierre B. inzwischen auch mit internationalem Haftbefehl gesucht. Die Zeitung zitiert aus einem internen Polizeipapier, in dem der Mann als "gefährlich und bewaffnet" beschrieben wird.
Und die Insassen des Unfallwagens? Laut Medienberichten sind alle außer Lebensgefahr. Im Wesentlichen kamen sie mit schweren Knochenbrüchen davon. Der Vater des Geburtstagskindes ist im Übrigen untröstlich und macht sich Vorwürfe. Die vier Mädchen hätten niemals in den Wagen einsteigen dürfen. "Sie waren einfach zu naiv", zitiert ihn Het Laatste Nieuws. "Sie hätten einfach nur anrufen müssen." Das Ganze hätte allerdings noch viel schlimmer ausgehen können.
Der junge Unfallfahrer Pierre B., der sich anscheinend sogar noch auf Facebook mit der Aktion gebrüstet hat, bleibt indes verschwunden.
Roger Pint - Bild: Jonas Roosens/BELGA