"Langsamer schneller ans Ziel": Klingt im ersten Moment nach einem Widerspruch in sich. "Ist es aber nicht!", sagte Benoit Godart, Sprecher des Belgischen Instituts für Straßenverkehrssicherheit, IBSR, in der RTBF. Folgende Situation: Rushhour, die Autobahn ist ziemlich voll, ein großes Autobahnkreuz, sagen wir auf der E40 von Brüssel kommend kurz vor Löwen. Dort "knubbelt" sich der Verkehr, unter anderem, weil einige Verkehrsteilnehmer erst im letzten Moment auf die Abfahrt fahren. Wenn da uneingeschränkt 120 Stundenkilometer erlaubt sind, dann hat das zur Folge, dass manche Autos kurz vor dem Kreuz Vollbremsungen machen müssen. Das wiederum sorgt für einen Akkordeon-Effekt - Resultat: Es bildet sich ein Stau.
Die Lösung sieht für Benoit Godart so aus: "Vor einem wichtigen Knotenpunkt sollte der Verkehr schrittweise heruntergebremst werden, auf 90, 60, gegebenenfalls auch mal 30; festgelegt würden die Begrenzungen über die großen Leuchttafeln. Die Maßnahme würde situationsabhängig erfolgen, also dann, wenn es das Verkehrsaufkommen rechtfertigt."
Was zunächst nur einleuchtend klingt, kann das IBSR jetzt auch beweisen. In einer Studie, die das Institut jetzt vorlegt, hat man diese "dynamische Verkehrsführung" nämlich simuliert. "Und was stellen wir fest", sagt Benoit Godard, "wenn wir den Verkehr zeitig herunterbremsen, dann kann man die durchschnittliche Fahrtzeit um 25 Prozent verkürzen, mal eben ein Viertel. Darüber hinaus würde dadurch auch die Zahl der Verkehrstoten um sechs Prozent gesenkt, mal ganz davon abgesehen, dass auch die Umweltbelastung abnimmt."
Besagte Studie wurde noch von der früheren Transportministerin Jacqueline Galant in Auftrag gegeben. Ihr Nachfolger, François Bellot, muss jetzt seine Konsequenzen daraus ziehen. Eine davon stand am Donnerstag auf der Titelseite der Zeitung Le Soir, und die wollte so gar nicht zu dem passen, was der IBSR-Sprecher gerade noch im Brustton der Überzeugung erklärt hat. "Bellot will die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen stellenweise auf 130 Stundenkilometer anheben", stand da zu lesen.
Höchstgeschwindigkeit auf 130 km/h anheben
Wie? Jetzt also doch nicht langsamer, sondern stattdessen schneller, mag man sich fragen. "Also, das eine schließt das andere doch nicht aus", erwidert François Bellot. Variable Geschwindigkeiten machen in gewissen Situationen und zu gewissen Zeitpunkten Sinn, eben um den Verkehr flüssiger zu machen. Was nicht heißt, dass man nicht auf anderen Abschnitten, wo nicht so viel los ist, wo auch wenig Unfälle festgestellt werden, nicht die zulässige Höchstgeschwindigkeit sogar auf 130 anheben kann.
Das ist denn auch der Plan. Bellot hat die Absicht, den Regionen die Möglichkeit zu geben, die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf einigen, ausgewählten Autobahnabschnitten auf 130 anzuheben. In all dem gebe es durchaus einen Roten Faden, meint Bellot: Die zulässige Höchstgeschwindigkeit würde verstärkt situationsabhängig festgelegt. Je nach Gefährlichkeit wird die Geschwindigkeit angepasst, mal nach oben, mal nach unten.
Beim IBSR ist man offensichtlich nicht ganz so glücklich über diese Lesart. "Naja", so sagt Sprecher Benoit Godard, "das mit den 130 Stundenkilometern, das ist so eine Sache." Klar, das sei eine der Schlussfolgerungen der Studie. Aber, erstens: in einem kleinen Land wie Belgien seien die Distanzen so kurz, dass sich das nicht wirklich lohne: "Auf 20 Kilometern gewinnen Sie ganze 47 Sekunden."
Und zweitens: De facto fahren die Leute ja ohnehin schon an die 130. Das ist eine Folge des Toleranz-Spielraums, den es hierzulande immer noch gibt: Wer die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 6 Prozent überschreitet, der wird nicht geblitzt. Bei 130 Stundenkilometern wären das also in der Praxis fast 140, und das sei inakzeptabel, meint Godard. Erstmal müsse also diese Toleranzgrenze weg!
Regionalminister lehnen Bellot's Vorschlag ab
Der Vorstoß von Bellot, auf bestimmten Autobahnabschnitten zu bestimmten Zeiten die Höchstgeschwindigkeit auf 130 Stundenkilometer anzuheben, stößt bei den zuständigen Regionalministern auf klare Ablehnung.
Flanderns Verkehrsminister Ben Weyts sagte, Erfahrungen in den Niederlanden hätten gezeigt, dass die Zahl der Verkehrstoten auf Abschnitten, auf denen jetzt 130 gefahren werden dürfe, binnen eines Jahres um ein Drittel gestiegen sei.
Auch sein wallonischer Kollege Maxime Prévot spricht von einer schlechten Idee. Untersuchungen hätten klar gezeigt, dass das Risiko schwerer Verkehrsunfälle bei einer Anhebung der Höchstgeschwindigkeit um 10 km/h zunehme.
belga/rtbf/vrt/rop/mh - Illustrationsbild: Bruno Fahy (belga)