Die Mitteilung der föderalen Staatsanwaltschaft hat es in sich: die Rede ist von organisiertem Sozialbetrug und kriminellen Machenschaften in Belgien, Luxemburg und Rumänien. Gesteuert werde dieses undurchsichtige Firmengeflecht von Belgiern. Alleine zwischen den Jahren 2014 und 2016 sollen dem belgischen Staat damit Sozialabgaben von 55,3 Millionen Euro entgangen sein. Für die für den Transportsektor zuständige Gewerkschaft UBT sind die Ermittlungen keine Überraschung.
"Es ist nie überraschend, wenn es um Firmen geht, die ihre Zugmaschinen in Rumänien und in der Slowakei immatrikuliert haben und deren Fahrer immer im Lastwagen schlafen. Sei es auf dem Firmengelände oder auf Parkplätzen. Bei Jost und vielen anderen Firmen der Branche werden die Gesetze bis aufs Äußerste ausgereizt - oft am Rande der Legalität. Da freuen wir uns, dass sich die Staatsanwaltschaft um das Sozialdumping im Transportsektor kümmert", erklärt UBT-Sprecher Daniel Maratta.
120 Beamte ermitteln in der Angelegenheit. An 15 Niederlassungen der Jost Gruppe fanden am Montag rund 20 Hausdurchsuchungen statt. Unter anderem in Stavelot und Jalhay, Weismes und Herstal. Auch luxemburgische und rumänische Polizisten sind in die Ermittlungen einbezogen. Vier Personen wurden festgenommen. Eine Sprecherin der Jost Group bestätigte das Verfahren. Gleichzeitig wies sie alle Schuld von sich. Die Firma habe sich nichts vorzuwerfen.
1958 wurde das Transportunternehmen Jost in Büllingen gegründet. Damals mit einem einzigen LKW. Mittlerweile gehören mehr als 1.200 Lastwagen zur Flotte des Büllinger Roland Jost. 2.400 Mitarbeiter gehören zur Jost-Gruppe. Doch die Branche ächzt unter der harten Konkurrenz aus dem Osten. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, gründen viele Transporteure Niederlassungen in Osteuropa. "In der Jost Gruppe wird auch manchmal Druck auf die belgischen Fahrer ausgeübt die Firma zu verlassen. Dies um sie schließlich durch Fahrer mit rumänischen Verträgen zu ersetzen. Beispielsweise in Grâce-Hollogne. Dort haben seit Januar diesen Jahres 27 Fahrer die Jost-Gruppe verlassen", so UBT-Sprecher Daniel Maratta weiter.
6.000 Arbeitsplätze in knapp zehn Jahren verloren
Seit 2008 hat der belgische Transportsektor 6.000 Arbeitsplätze verloren. Während ein hiesiger Lastwagenfahrer rund 2.200 Euro netto im Monat in der Tasche hat, gibt es für seinen osteuropäischen Kollegen oft nur 300 Euro netto. Lohngefälle sind das eine Problem. Die Arbeitsbedingungen das andere. Im harten Wettbewerb bleibt oft keine Zeit, die Ruhezeiten einzuhalten. "Diese Regeln werden von einer Mehrzahl von Firmen nicht eingehalten. Sei es nun von Jost oder anderen. Die Chauffeure können nur in den Lastwagen schlafen. Das ist verboten". erklärt Daniel Maratta
Schlechte Arbeitsbedingungen und Sozialdumping im Transportsektor. Dass besonders die Branche damit zu kämpfen hat, ist nicht neu. Bereits in der vergangenen Legislaturperiode hatte die UBT-Gewerkschaft dem damaligen Staatssekretär John Crombez 86 Firmennamen genannt. 86 Transportunternehmen, bei denen es eindeutige Hinweise auf Sozialdumping gab. Denn: "Die Fahrer sind müde. Wenn es Unfälle auf der Straße gibt, dann ist das auch auf die Arbeitsbedingungen zurück zu führen. Wer nicht in einem Bett schlafen kann, arbeitet nicht gut. So kommt eins zum anderen. Hungerlöhne und schlechte Arbeitsbedingungen. Es ist wichtig, dass die Justiz den Transportsektor, aber auch das Baufach auf unerlaubte Praktiken kontrolliert", fährt Daniel Maratta fort.
Auch die aktuelle Regierung hat dem Sozialdumping den Kampf angesagt. Im März wurde bekannt: Rund 100 zusätzliche Ermittler sind eingestellt worden. Ziel ist, jährlich an die 10.000 Kontrollen durchzuführen. Vor allem im Transportsektor. Der Sektor selbst fordert jedoch mehr: "Es liegt auf der Hand, dass der Sektor leidet. Wir haben die höchsten Lohnkosten in der EU. Belgische Transporteure haben nicht nur die Konkurrenz aus Osteuropa, sondern auch unsere direkten Nachbarn sind einfach wettbewerbsfähiger. Die Febetra fordert die EU auf, die Regeln zu vereinfachen und die belgische Regierung muss dringend die Lohnkosten reduzieren," sagt Febetra-Sprecherin Isabelle De Maegt.
Sind die Ermittlungen bei der Jost-Group also nur die Spitze des Eisbergs? Der Umfang der Affaire lässt vermuten: Ja.
Simonne Doepgen - Bild: télévesdre