Es ist eine Geschichte, die ganz Flandern seit Jahren in Atem hält. Die Rede ist vom so genannten Schlossmord. Anfang 2012 wurde im westflämischen Wingene der damals 34-jährige Stijn Saelens ermordet. Was die Geschichte wohl in den Augen vieler so 'knackig' machte, das war wohl die Tatsache, dass dieser Saelens mit seiner Familie in einem Schloss wohnte.
Von Anfang bis Ende eine Seifenoper, wenn's da nicht den tragischen Hintergrund gäbe. Auch der Prozess um den Schlossmord dürfte wohl die Erwartungen der Boulevardpresse vollends erfüllt haben. Das Verfahren hat am Dienstagmorgen begonnen, das erstmal gleich mit einem Riesendurcheinander. Prozedurfragen, Befangenheitsanträge, einige Verteidiger zogen das volle Programm durch.
Die ellenlangen, zum Teil hitzigen Diskussionen zeigten schon: Dieser Prozess, das wird kein Sonntagsspaziergang. Und doch konnte man dann zur Tagesordnung übergehen. Erst wurden die Ermittler angehört, die noch einmal die Chronologie des Falls schilderten. Begonnen hatte alles Anfang 2012.
Die Tat
31. Januar: In der Eingangshalle von Schloss Carpentier macht Elisabeth Saelens eine grausige Entdeckung: Eine Blutlache, daneben eine Patronenhülse, Kaliber 9mm. Zu erkennen sind Schleifspuren. Da wurde offensichtlich eine Leiche nach draußen befördert.
Makabre Inszenierung oder doch ein Gewaltverbrechen? Fakt ist: Der Schlossherr, der 34-jährige Stijn Saelens, ist verschwunden. Knapp drei Wochen später: Die tragische Gewissheit. In einem kleinen Waldstück im naheliegenden Marie-Aalter wird die Leiche des Mannes entdeckt. Er erlag tatsächlich einer Schussverletzung. Keine 100 Meter von der Fundstelle entfernt befindet sich eine Hütte, die einem gewissen Pierre Serry gehört.
Das mögliche Motiv
Der sitzt da schon in U-Haft, zusammen mit André Gyselbrecht und seinem Sohn Peter. André Gyselbrecht, das ist der Schwiegervater des Mordopfers. Er wird da schon beschuldigt, den Mord in Auftrag gegeben zu haben. Hintergrund ist demnach ein ziemlich düsteres Familiengeheimnis, zumindest laut Aussage von Gyselbrecht. Der hatte den Mann seiner Tochter im Verdacht, die gemeinsamen Kinder zu missbrauchen. Er hat diesen "Inzestvorwurf" auch mehrmals der Polizei und der Justiz gegenüber formuliert. Die Anzeigen blieben aber ohne Folge.
Tatsache ist: Stijn Saelens wollte offensichtlich mit seiner Familie und den vier Kindern auswandern, nach Australien. Gyselbrecht fürchtet um seine Enkel. Und daraufhin soll er besagten Pierre Serry eingeschaltet haben, auf dessen Grundstück man ja später die Leiche fand.
Und da gab's bislang verschiedene Versionen. Gyselbrecht hat bislang immer behauptet, er habe den Wunsch geäußert, dass seinem Schwiegersohn "einer Lektion erteilt werden solle". Von Mord sei da keine Rede gewesen.
Das Geständnis
Fast fünfeinhalb Jahre hat Gyselbrecht an dieser Darstellung festgehalten. Bis Dienstagabend. Die anwesenden Beobachter und Journalisten sind im Geiste schon auf dem Nachhauseweg, als Johann Platteau, der Anwalt von Gyselbrecht, eine Bombe zündet. "Sein Mandant wolle eine Aussage machen", sagt der Verteidiger. Eigentlich standen die Anhörungen der diversen Angeklagten erst zu einem späteren Zeitpunkt an. "Also, wenn Gyselbrecht zu Wort komme, dann werde er die volle Verantwortung übernehmen", sagt Platteau und wird dann genauer: "Gyselbrecht werde nicht mehr bestreiten, dass er Pierre Serry darum gebeten hat, Stijn Saelens zu töten."
Verdutzte Gesichter. Wie bitte? Die Vorsitzende des Gerichts erteilt daraufhin dem Angeklagten das Wort. Und der schildert dann, wie es zu der Tragödie kam. Er habe zwar immer schon so seine Probleme mit seinem Schwiegersohn gehabt, sich aber mit ihm arrangieren wollen. Bis ihm die Inzestvorwürfe zu Ohren kamen. Das habe ihn nicht mehr losgelassen. Weil er bei der Justiz nichts erreichte, sei er zunehmend verzweifelt. Inzwischen habe er Pierre Serry kennengelernt und ihm von der Sache erzählt. "Ich würde ihn am liebsten umbringen", habe er zu Serry gesagt. Der habe erwidert: "Tun Sie das nicht, kontaktieren Sie lieber mich." Er habe sich das alles dann nochmal durch den Kopf gehen lassen. Als sich die Lage wieder zuspitzte, habe er Serry angerufen.
Zwischen den Zeilen steht hier also: Gyselbrecht bestellte den Mord an seinem Schwiegersohn. Ausgeführt wurde der übrigens von einem niederländischen Auftragskiller, der inzwischen tot ist. Dass sein Mandant jetzt plötzlich seine Version ändere, das spreche doch für den Wahrheitsgehalt, sagte Anwalt Johann Platteau. Wenn er sich noch etwas von seiner Aussage erhoffe, dann müsse die nämlich absolut der Wahrheit entsprechen.
Der Anwalt des ebenfalls angeklagten Pierry Serry sieht das ein bisschen anders. "Das sei doch ein bisschen einfach, jetzt alle Schuld auf seinem Klienten abzuladen", sagte Kris Vincke in der VRT. Die Körpersprache von Serry sage alles: Das stimme so nicht!
Ob nun wahr oder nicht: Das Geständnis von André Gyselbrecht stellt den Prozess jedenfalls auf den Kopf. Am Donnerstag können zwar noch Experten angehört werden, der Rest des Verfahrens muss aber erstmal ausgesetzt werden. Auf der Grundlage der neuen Aussagen müssen nämlich erstmal alle Beteiligten erneut verhört werden. Fortsetzung folgt frühestens im Juni...
Roger Pint - Bild: Nicolas Maeterlinck (belga)