Belgien vor Deutschland und Ungarn, Frankreich und Italien - so sollte es mal im Fußball aussehen: Doch diese Tabelle stammt nicht vom Ende der nächsten Fußball-WM, sondern von der Organisation der Industriestaaten OECD. Im Vergleich: Steuern und Abgaben auf einen Arbeitnehmerlohn. Erfolgreich hat Belgien da seinen Titel vom vergangen Jahr verteidigt. Die meisten werden das zähneknirschend zur Kenntnis nehmen. So hohe Lohnkosten, das schränkt die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in Belgien ein. So kann man es sehen.
Andere hingegen feiern das Ergebnis. 54 Prozent - das sei besser als noch im Jahr zuvor. Denn das bedeute einen Rückgang der Abgabenbelastung um 1,32 Prozent. Für Vertreter der Föderalregierung ein Effekt des Tax-Shifts, den die Regierung von Charles Michel auf den Weg gebracht hat.
So wertet das auch Willy Borsus, Föderalminister für den Mittelestand, in der RTBF. "Wir wissen, dass die Arbeitskosten bei uns zu sehr durch Abgaben belastet sind und dass das die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen beeinflusst. Deshalb haben wir ja den Tax-Shift gestartet. 2018 erreicht er seine nächste Stufe. Dann wird es zu weiteren Rückgängen bei der Einkommenssteuer für die Arbeitnehmer und bei den Lohnnebenkosten kommen. In diese Richtung muss es weitergehen", sagt der liberale Politiker.
"Die Richtung stimmt, wir machen gute Politik" - so sieht es die Regierung. Doch schon die Wirtschaftszeitung L'Echo fragt sich am Mittwoch: Woher all das Geld nehmen, um die Steuerausfälle aus dem Lohnsektor zu kompensieren? Aus den Vermögenswerten der Menschen? So eine Politik könne man von einer Mitte-Rechts-Regierung wie der aktuellen wohl kaum erwarten.
Bleibt also der Bereich, aus dem laut der Zeitung Het Laatste Nieuws schon jetzt der Rückgang bei den Lohnnebenkosten ausgeglichen wird: die Verbraucherpreise. Die hätten nämlich angezogen. Am Ende des Monats würde ein Arbeitnehmer nicht merken, dass er trotz rückläufiger Lohnabgaben mehr Geld in der Tasche habe, so Het Laatste Nieuws.
Ähnlich argumentiert auch Ahmed Laaouej, Steuer- und Wirtschaftsexperte der Parti Socialiste in der Kammer. Er sagt zu dem OECD-Ergebnis, über das sich die Föderalregierung freut: "Die großen Verlierer sind die Arbeiter und die Haushalte. Sie bekommen die Steuern bei den Konsumgütern zu spüren, wie zum Beispiel die gestiegene Mehrwertsteuer beim Strom. Sie spüren auch den Index-Sprung, durch den ihnen jedes Jahr 2,5 Milliarden Euro entgehen. Zudem steigen die Lebenshaltungskosten immer weiter. Belgien ist auch Inflationsmeister: Anders als in unseren Nachbarländern, wo die Kaufkraft der Menschen steigt, geht sie in Belgien tendenziell zurück."
Apropos Nachbarländer: In Deutschland, mit 49,4 Prozent direkt hinter Belgien im OECD-Ranking, macht man sich aufgrund dieser Zahl große Sorgen. Für die Süddeutsche Zeitung ist das Abschneiden am Mittwoch das Aufmacherthema. "Hohe Abgaben belasten Arbeitnehmer", warnt die Zeitung in ihrer Schlagzeile. Das OECD-Ergebnis habe in Deutschland eine neue Debatte über Steuersenkungen entfacht. Und das bei einem Wert, der in Belgien zu wahren Luftsprüngen der Regierungspolitiker führen würde und der bei ähnlicher Kaufkraft wie in Deutschland dann wohl auch den Applaus der Opposition bekäme.
Kay Wagner - Illustrationsbild: Siska Gremmelprez/BELGA