"Toxische Akten", der Begriff hat plötzlich eine ganz neue Bedeutung... Im Jugendgericht von Tongeren gibt es tatsächlich Akten, die im Moment niemand mehr anrühren darf, es sei denn, er trägt Schutzkleidung und eine Atemmaske.
Das Problem hat einen Namen: Schimmel.
Den Pilz, den hat man sich buchstäblich selbst eingeschleppt. Bis 2013 war das Jugendgericht von Tongeren in einem Gebäude aus dem 19. Jahrhundert untergebracht, das einen bekanntermaßen feuchten Keller hatte; mit allem, was damit verbunden ist. Und weil einige Dossiers schon von Schimmel befallen waren, hat man die beim Umzug in ein neues Gebäude gleich da gelassen.
In besagtem feuchten Keller gammelten die Akten also weiter vor sich hin. Nur: Gerade bei einem Jugendgericht liegt es in der Natur der Sache, dass die Akten häufiger in doch regelmäßigen Abständen eingesehen werden müssen, etwa, wenn es um Sorgerechtsangelegenheiten geht. Und jede Akte, die aus dem feuchten Keller ins neue Gebäude zur Einsicht transferiert wurde, hatte eben einen blinden Passagier im Gepäck: Der Schimmelpilz wanderte quasi vom alten ins neue Gebäude...
Das allerdings mit doch drastischen Folgen: Zwei Mitarbeiter, die häufiger mal in den verseuchten Keller mussten, liegen inzwischen krank im Bett. Zugegeben, sagte Elisabeth Raskin, diensttuende Gerichtspräsidentin, in der VRT, zugegeben, das Schimmelproblem war bekannt. "Wir haben die Folgen aber etwas unterschätzt."
Die Gerichtspräsidentin führt dann das VRT-Kamerateam zu einer verschlossenen Türe, auf der diverse Warnhinweise gepinnt sind. Unter anderem ein Piktogramm, das eine Atemmaske und Schutzkleidung zeigt. Es wirkt irgendwie wie ein Trakt in einem Hochsicherheitslabor. "Schauen Sie", sagt Elisabeth Raskin, "hinter dieser Türe befinden sich zwei Räume, in denen wir eiligst die verseuchten Akten untergebracht haben, jetzt ist der Bereich versiegelt."
Die Mitarbeiter, die vorher ihre Büros in den beiden Räumen hatten, mussten natürlich umziehen, entsprechend sieht das Jugendgericht von Tongeren im Moment so ein bisschen aus wie ein einziges Provisorium. Und das könnte erstmal so bleiben. Jetzt, wo man sich der Gefahr bewusst geworden ist, die von den verschimmelten Akten ausgeht, bekommt das Problem auch plötzlich noch eine ganz andere Dimension. Konkret: Es geht längst nicht nur um eine Handvoll Akten. "Naja", so sagt Chef-Gerichtsschreiberin Cindy Tielen, "wir haben so 35 bis 40 mittelgroße Schränke voll von diesen 'verseuchten' Akten."
Die Zeitung Het Belang van Limburg schätzt das Gesamtvolumen der von Schimmelpilz befallenen Dossiers auf rund 400 Aktenmeter. Ein "ausgewachsenes Problem", eben. Zumal für ein Jugendgericht. "Wir können den Eltern doch nicht erzählen, dass wir in Bezug auf ihre Kinder keine Entscheidung treffen können, weil die Akten verschimmelt sind", sagt ein Mitarbeiter in der Zeitung. Die meisten der "verseuchten" Schriftstücke, die betreffen Familienangelegenheiten, sagt auch Cindy Tielen. Die können und dürfen nicht liegenbleiben.
Die Gerichtspräsidentin pflichtet ihrer Gerichtsschreiberin bei: "Wir versuchen mit allen Mitteln, einen Aktenstau zu verhindern, eben weil es häufig um Kinder geht." Man habe das Justizministerium in Brüssel schon 2013 auf das Problem aufmerksam gemacht, da sei dann aber -wie so oft- erstmal gar nichts passiert.
Nur: Was jetzt? Im Grunde gibt es da nur eine Lösung, sagt Cindy Tielen: "Wir müssen die Akten allesamt scannen und neu ausdrucken."
Erstmal muss man aber den Schimmel loswerden, in Betracht kommt da laut Het Belang van Limburg eine Laserbehandlung, oder gar Rauchbomben, die ein Anti-Pilzmittel enthalten. Eins weiß man in jedem Fall jetzt schon: Das Ganze wird richtig, richtig teuer.
Roger Pint - Foto: Luc Claessen/BELGA