Seit den Terroranschlägen von Paris mit ihrem islamistischen Hintergrund ist die belgische Hauptstadtgemeinde Molenbeek bekanntlich immer wieder in die Schlagzeilen gerückt. "Europäische Hauptstadt des Islamismus" wurde Molenbeek genannt, eben weil die Attentäter von Paris in Molenbeek wohnten und die Anschläge dort vorbereitet hatten.
Aber schon vor diesen Anschlägen war der belgischen Föderalregierung bewusst geworden, dass sich in Molenbeek besonders viele junge Moslems radikalisierten und nach Syrien zum Kampf aufbrachen. Neben Molenbeek gab es neun weitere solcher Gemeinden und deshalb beschloss der belgische Föderalstaat schon 2015, diesen Gemeinden insgesamt eine Million Euro zur Verfügung zu stellen. Mit diesem Geld sollten Präventionsmaßnahmen gegen die Radikalisierung junger Moslems finanziert werden.
Einmalzahlung
Innenminister Jan Jambon will diese Fördergelder jetzt nicht mehr zahlen und sieht sich im Recht. Sein Kabinett lässt verlauten, dass es von vornherein klar war, dass die Million Euro für Präventionsmaßnahmen gegen Radikalisierung eine Einmalzahlung war. Wenn sie jetzt nicht mehr ausgeschüttet werde, dürfte das doch keine Überraschung sein. Man habe nie etwas Anderes gesagt.
Außerdem sei es ja auch nicht so, dass der Föderalstaat den zehn betroffenen Gemeinden gar nichts zahlen würde. Die je nach Gemeinde 40.000 bis 60.000 Euro pro Jahr, die zur Anstellung eines Beauftragten für Radikalisierungsmaßnahmen dienen sollen, würden weiter bezahlt.
Doch das ist den Gemeinden nicht genug. Mit ihrem Anteil haben sie Strukturen aufgebaut, deren Fortbestand sie jetzt in Gefahr sehen. Beispiel Molenbeek: Dort konnte dank der föderalen Finanzspritze die Zahl der Mitarbeiter, die sich mit Radikalisierung beschäftigen, von zwei auf vier verdoppelt werden. Die zwei neu geschaffen Posten stehen jetzt vor dem Aus.
Kritik aus Molenbeek und Schaerbeek
Molenbeeks Bürgermeisterin Françoise Schepmans bedauert das. Die Gemeinde selbst, sagt sie, habe nicht genug finanzielle Möglichkeiten, um die Stellen zu halten. Deshalb hofft sie auf ein Umdenken auf föderaler Ebene - oder auf Hilfen seitens der Region oder Gemeinschaften. Denn Kampf gegen Radikalisierung bedeute auch Begleitung von Menschen und Wiedereingliederungsmaßnahmen. 60 Familien wurden in Molenbeek dank der Personalaufstockung mit Hilfe der föderalen Gelder betreut. Diese Arbeit sei jetzt bedroht, so die Bürgermeisterin.
Noch klarer sind die Worte in der Brüsseler Nachbargemeinde Schaerbeek, ebenfalls einer der Brennpunkte, wenn es um das Thema Radikalisierung junger Moslems geht. Natacha David ist dort Beauftragte für Radikalisierungsfragen. Sie sagt: "Ich finde das wirklich schwer nachzuvollziehen, dass der Föderalstaat das Geld nicht mehr zahlen will. Das ist wahrscheinlich sogar schädlich. Ich verstehe die Logik nicht, die hinter so einer Entscheidung steht, wenn es doch um eine Strategie für eine wirksame Prävention gehen soll. Denn Prävention, so, wie das Wort definiert ist, muss auf lange Sicht arbeiten."
Und noch ein bisschen schärfer formuliert Bernard Clerfayt, Bürgermeister von Schaerbeek, seine Kritik. Von all dem Geld, das im Haushalt für Sicherheitsangelegenheiten zur Verfügung steht und das nochmal um 400 Millionen Euro aufgestockt wurde, wolle man ein bis zwei Millionen von den Gemeinden abziehen, die am stärksten von den Problemen betroffen sind? Das sei lächerlich, wirklich am Ziel vorbeigeschossen. Das mache es unmöglich, wirklich wirksame Maßnahmen vor Ort zu ergreifen. Das seien aber die einzigen Maßnahmen, die langfristig Ergebnisse brächten.
Rückschritt
In Schaerbeek konnte die Zahl der Mitarbeiter, die sich um Prävention zur Radikalisierung kümmern, dank der Föderalgelder von einem auf aktuell zwei gesteigert werden. Grundsätzlich ja schon nicht unbedingt viel Personal für eine so wichtige Aufgabe. Wenn jetzt die zweite Person wieder wegfallen sollte, weil Schaerbeek sie nicht mehr bezahlen kann, kann man das wohl einen Rückschritt nennen.
Jambon hatte die Fördergelder im September 2015, also noch vor den Anschlägen in Paris, damit begründet, dass die Gemeinden eine schwere Last zu tragen hätten beim Kampf gegen die Radikalisierung. Dabei wolle er ihnen nun helfen. Es scheint, dass Jambon nach den Anschlägen in Paris und sogar Brüssel selbst diese Hilfe als nicht mehr nötig befindet.
Kay Wagner - Illustrationsbild: Philippe Francois/BELGA