Dienstagnacht: Ein Junge wird von einer Hilfsorganisation zur Küstenwache von Lampedusa gebracht. Die Organisation "Jugend rettet" hatte den 16-Jährigen aus dem Mittelmeer gefischt. Er trieb -festgeklammert an einem Benzinkanister- im Wasser. Später gab er an, dass er zusammen mit 146 weiteren Menschen in Libyen ein Boot bestiegen hatte, das später auf hoher See gesunken sei. Die Behörden müssen also davon ausgehen, dass allein bei dieser Katastrophe über 140 Menschen ums Leben kamen.
Leider geht das Sterben im Mittelmeer weiter, sagte Brice de la Vigne, Direktor für die Rettungseinsätze bei der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen in der RTBF. Im letzten Jahr sind schon über 5.000 Menschen bei der Überfahrt nach Europa ums Leben gekommen. Ein trauriger Rekord, und das sind nur die Toten, von denen wir wissen.
2017 hat sehr schlecht angefangen. In den ersten drei Monaten des Jahres wurden schon rund 600 Tote gezählt, und das allein auf der zentralen Mittelmeerroute nach Italien. Das sind mehr als im selben Vorjahreszeitraum. Auch deswegen haben wir jetzt ein zweites Schiff gechartert, sagt Brice de la Vigne von Ärzte ohne Grenzen: "Unsere beiden Rettungsschiffe können jeweils bis zu 800 Menschen aufnehmen."
In diesem Zusammenhang ist in letzter Zeit Kritik laut geworden. Unter anderem der belgische Asylstaatssekretär Theo Francken hatte den Hilfsorganisationen, und namentlich Ärzte ohne Grenzen, vorgeworfen, durch ihre Rettungsaktionen im Mittelmeer wie ein Magnet zu wirken, also den Flüchtlingsstrom noch zu befeuern. Totaler Unfug, betont Brice de la Vigne noch einmal: "Das ist, als würde man sagen, dass man die Feuerwehrleute nur abzuziehen braucht, damit es aufhört zu brennen. Die Fluchtursachen, das sind doch ganz andere."
Ursache dafür, dass viele Menschen die gefährliche Überfahrt wagen, das sei grob zusammengefasst die Tatsache, dass die Politik, also die internationale Gemeinschaft sich nicht wirklich mit dem Problem beschäftigen. Schlimmer noch, sagt Brice de la Vigne: "Wir müssen auch noch die Rolle des Staates übernehmen. Wir sind so etwas wie Feuerwehrleute. Eigentlich ist das gar nicht unsere Aufgabe. Was wir machen, das ist auch keine Lösung, wir versuchen nur, das Leid zu lindern, das durch die Passivität der Politik erzeugt wird."
Die einzige Lösung, die da immer wieder in der einen oder anderen Form auf den Tisch kommt, das sei die Errichtung von gleich wie gearteten "Mauern". Beispiel: Italien denkt darüber nach, in Zusammenarbeit mit Libyen das Seegebiet zwischen beiden Ländern komplett zu sperren.
Erstens, so reagiert Brice de la Vigne von Ärzte ohne Grenzen: Erstens sei das reine Utopie. Keine Regel dieser Welt kann Flüchtlingsströme unterbinden, sie würden allenfalls umgeleitet.
Und zweitens: "Wenn es etwas gibt, dass die Flüchtlingsströme befeuert, dann sind es derartige Planspiele. Wenn die Flüchtlinge Angst haben müssen, dass eine Route gesperrt wird, dann wagen sie erst recht die Überfahrt. Und dann sind die Boote meist noch improvisierter."
Die derzeitige Lage stimme ihn eher pessimistisch, sagt der Ärzte ohne Grenzen-Helfer: "Wir machen das jetzt seit zwei Jahren. Und seit zwei Jahren sehen wir kein Ende, keinen Hoffnungsschimmer. Nach wie vor wagen Menschen die gefährliche Überfahrt, nach wie vor sterben Männer, Frauen und Kinder auf hoher See. Und das hört und hört nicht auf."
Roger Pint - Bild: Giovanni Isolino (afp)