"Ich habe eine gute Neuigkeit zu vermelden", sagt Eric Jonckheere den Sympathisanten, die vor dem Justizpalast gespannt warten - und da wissen sie schon, wie das Urteil ausgefallen ist. Quasi aus der ganzen Welt sind sie angereist, sogar eine Delegation aus Japan ist nach Brüssel gekommen. Sie alle wollen nur eins: Dass Eternit endlich verurteilt wird, dass das Unternehmen schuldig befunden wird dafür, dass es seine Arbeiter und auch die Menschen, die in unmittelbarer Nähe seiner Produktionsstätten lebten, jahrelang Asbest ausgesetzt hat.
Die ernsten Folgen für die menschliche Gesundheit, davon will Eternit bis zuletzt nichts gewusst haben. "Wir haben beweisen können, dass sie es wussten", sagt Eric Jonckheere mit bebender Stimme. Für Eric Jonckheere ist es das vorläufige Ende eines langen Weges, eines wahren Kreuzzuges, der eng, sehr eng mit seiner Familie verbunden ist.
Asbest - der lautlose Killer hat buchstäblich die halbe Familie von Eric Jonckheere ausgelöscht. Sein Vater war bei Eternit beschäftigt. Dafür war die Familie nach Kapelle-op-den-Bos gezogen. Die Jonckheeres wohnten direkt neben der Fabrik. Eternit stellte in dieser Zeit Isolationsplatten her, vor allem für Dächer, Außenwände und Giebel. Grundstoff war Asbest.
"Meine Mutter wollte kein Schweigegeld, sie wollte Gerechtigkeit"
Wenn der Vater abends nach Hause kam, war seine Kleidung buchstäblich verseucht mit den todbringenden Asbest-Fasern. Der Vater starb mit 59, seine Frau folgte ihm wenig später ins Grab. In den darauf folgenden Jahren starben auch zwei Söhne, der eine mit 43, der andere mit 44. Die überlebenden drei Brüder wissen um das Damoklesschwert, das über ihren Köpfen hängt...
Kurz vor ihrem Tod hatte Françoise Jonckheere gegen Eternit geklagt. Sie ahnte, dass ihre fünf Kinder zu einem frühen Tod verurteilt waren. Eine Abfindung, die Eternit ihr zahlen wollte, lehnte sie ab - immerhin 42.000 Euro. "Meine Mutter wollte kein Schweigegeld, sie wollte Gerechtigkeit", sagt Eric Jonckheere. Kurz, nachdem sie ihre Klage eingereicht hatte, verstarb Françoise. Auf dem Sterbebett nahm sie ihren Söhnen das Versprechen ab, den Kampf fortzusetzen - und das taten sie: 17 Jahre lang.
Eternit musste über Gefahren im Bilde sein
In erster Instanz wurde Eternit schon für schuldig befunden, Arbeiter und Umwelt mit Asbest verseucht zu haben, obgleich man um die Gefährlichkeit wusste. Eternit ging aber in Berufung. Jetzt hat aber der Appellationshof das Urteil der ersten Instanz bestätigt. Dem Unternehmen bleibt da allerdings noch der Weg vor den Kassationshof.
Nichtsdestotrotz: Die Kläger freuen sich erstmal über das Urteil. Zunächst eben darüber, dass der Appelationshof festhält, dass Eternit über die Gefahren im Bilde sein musste. Und doch wurde die letzte asbestverarbeitende Niederlassung in Belgien erst 1998 geschlossen.
Besonders wichtig sei aber noch ein weiterer Passus. Eternit hatte immer geltend gemacht, dass die Todesfälle, um die es bei dem Verfahren ging, verjährt waren. Das Gericht urteilte jetzt, dass der Zeitpunkt, wann sich ein Patient die todbringende Dosis zugezogen hat, nicht festzulegen ist. "Entsprechend gilt der letztmögliche Moment", sagte der Klägeranwalt, Jan Fermon. Und damit sei der Weg frei für andere Asbestopfer, um nun ebenfalls gegen Eternit zu klagen.
Da gibt es nur einen Wehrmutstropfen: In erster Instanz war Eternit zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 250.000 Euro verurteilt worden. Das Berufungsgericht teilte diesen Betrag "mal eben" durch zehn, es bleiben also noch 25.000 Euro. "Naja", sagt Eric Jonckheere, "uns ging's nie ums Geld. Wichtig war nur, dass die Verantwortung von Eternit ein für alle Mal vor Gericht festgestellt wird." Allerdings sei es schon bezeichnend, wenn das Leben einer Frau, die weiß, dass ihre Kinder zum Tode verurteilt sind, dem Gericht gerade mal 25.000 Euro wert ist.
Roger Pint - Bild: Nicolas Materlinck/BELGA