Die Politik als Selbstbedienungsladen: Diesen Eindruck hinterlässt auch der neue Skandal um interkommunale Zweckverbände. Diesmal ist der Norden des Landes betroffen. Genauer gesagt die Stadt Gent. Erste Folge: Die Grünen stellen ihr Bündnis mit den Sozialisten in Frage. "Politik muss ehrlich und transparent sein", sagt Elke De Cruyenaere von den Genter Grünen.
Die Basis soll nun entscheiden, ob Groen künftig weiter mit den Sozialisten gemeinsame Sache macht. Zuvor hatte SP.A-Schöffe Tom Balthazar seinen Posten geräumt, um "seine Stadt nicht wegen monatelangen Diskussionen um Skandale und Vergütungen zu lähmen".
Genter SP.A-Spitze in der Kritik
Wegen der Pleite der Optima-Bank stehen die Sozialisten in Gent ohnehin schon länger in der Kritik. Der langjährige Bürgermeister Daniël Termont wird bei der nächsten Wahl nicht mehr antreten. Der jetzt zurückgetretene Balthazar war eigentlich der Hoffnungsträger der Roten in Gent. Doch auch auf ihn muss die notleidende SP.A nun verzichten.
Der neue Spitzenkandidat der Sozialisten in Gent heißt Rudy Coddens und er verspricht im VRT-Radio: "Ich bin sauber. In meinem Keller befinden sich keine Leichen."
Parallelen zu Publifin
Der Publipart-Skandal weist klare Parallelen zum Publifin-Affäre in Lüttich auf: Die Stadt Gent ist mit zwölf Prozent am Kapital der Holding Publipart beteiligt und entsendet zwei Lokalpolitiker in den Aufsichtsrat der Einrichtung, darunter der zurückgetretene Balthazar. 19.000 Euro pro Jahr hat jedes Publipart-Vorstandsmitglied kassiert – obwohl die Obergrenze für solche Mandate in Flandern eigentlich viel niedriger liegt.
Da Publipart aber keine reine Interkommunale, sondern eine halb-öffentliche Holding ist, wurden die Vergütungsregeln einfach umgangen. Welche Leistungen die Vorstandsmitglieder überhaupt erbracht haben, ist unklar. Fragwürdig sind auch die Investitionen, die Publipart getätigt hat. Es ist unter anderem von Anteilen am deutschen Rüstungsunternehmen Rheinmetall und von Chemiewaffen die Rede.
Opposition in Gent zerstritten
Die Opposition in Gent, allen voran die N-VA, hat Blut geleckt. Die Genter Sozialisten würden sich wie wallonische PS-Politiker verhalten, so der Vorwurf von Oppositionsführer Siegfried Bracke. Erst die Pleite der Optima-Bank, jetzt Publipart. Und es würden weitere, fragwürdige Dinge in Gent geschehen.
Gerade dieser Bracke wäre aber gut beraten, den Mund zu halten, meint dagegen die linksextreme PTB (PVDA). Der Kammervorsitzende sitze im Glashaus. Er sei Belgiens bestbezahlter Politiker und außerdem auf der Generalversammlung der Publipart-Muttergesellschaft Publilec anwesend gewesen – und zwar als N-VA-Kommissar.
"Warum hat Bracke sich bei Publilec, der Muttergesellschaft von Publipart, nie über die horrenden Sitzungsgelder und die unethischen Investitionen beschwert?", fragt Tom De Meester von der PTB. Jetzt den "weißen Ritter" in der Öffentlichkeit zu spielen, sei scheinheilig. Vor allem, wenn man bedenke, dass Bracke in seiner Eigenschaft als Kammervorsitzender 330.000 Euro im Jahr verdiene – also mehr als Angela Merkel.
Publifin-Untersuchungsausschuss vor Start
Apropos Publifin: Am Dienstag nimmt der parlamentarische Untersuchungsausschuss in der Wallonie seine Arbeit auf. Wie die RTBF berichtet, steht die PS-Vorsitzende des Gremiums jetzt aber unter Druck. Der Vorwurf: Olga Zrihen hat selbst überzogene Sitzungsgelder kassiert.
Als Vorsitzende der Pensionskasse des Senats hat sie über mehrere Jahre hinweg 1.800 Euro brutto im Monat erhalten – zusätzlich zu ihrem Senatoren-Gehalt. Ihre Reaktion im RTBF-Radio fällt überraschend aus: "Ich kann Ihnen nicht genau sagen, wie viel ich bekommen haben. Aber wenn Sie es sagen, wird es wohl stimmen."
1.800 Euro im Monat, aber Olga Zrihen kann sich nicht mehr genau erinnern. Der Graben zwischen den Bürgern und manchen Politikern wird immer größer.
Alain Kniebs - Bild: Hatim Kaghati/BELGA