2014 war das Interesse weit über Schweden hinaus groß. Medien weltweit berichteten über ein Experiment: ein wirklich erstaunlicher Plan. In einem Altersheim in Göteborg hatten 68 Pfleger und Pflegerinnen just erfahren, dass ihr Stundenplan umgebaut wird. Ab 2015 sollten sie statt 37 nur noch 30 Stunden pro Woche arbeiten. Das neue Arbeitsschema, so die Mitteilung, sollte nicht für mehr Druck am Arbeitsplatz sorgen. Und noch besser: Das Personal sollte keinen Cent weniger verdienen.
Die Idee dahinter: Man versprach sich gesündere und glücklichere Mitarbeiter, weniger Krankheitsausfälle und eine höhere Produktivität. Seitdem sind zwei Jahre vergangen und wieder berichten Medien weltweit. Von einem Flop ist die Rede. Ein totales Scheitern.
Experiment gefloppt?
Das Experiment schien zu teuer, um fortgesetzt zu werden. Denn das Altenheim musste 17 neue Mitarbeiter einstellen, um die entstanden Löcher im Stundenplan zu füllen. Dies entsprach einer zusätzlichen Ausgabe von 1,25 Millionen Euro.
Laut Daniel Bernmar, dem Exekutivverantwortlichen für Gesundheitspolitik in Göteborg, war dieses Model unhaltbar. Dabei betonte er bei einem Interview mit der niederländischen Zeitung De Volkskrant, dass dies auch nicht das Ziel gewesen sei. Man habe in erster Instanz schauen wollen, welche Vor- und Nachteile eine Sechsstundenwoche mit sich bringt. Nun könne man eine gesellschaftliche Debatte über die Ergebnisse führen. Sprich: Wiegen die Vorteile die Mehrausgaben auf, oder nicht?
Vorteile gab es bei dem Experiment ganz offenbar, sagt Bernmar. Die Pfleger waren sogar sehr enthusiastisch. Demnach meldeten sie sich seltener krank, erklärten, mehr Energie und mehr Zeit zur Organisation von Aktivitäten für die Heimbewohner zu haben.
Das Göteborger-Modell hat jedenfalls Menschen inspiriert. So auch die flämische Frauenvereinigung Femma. Im Laufe des Jahres will sie das Experiment selber zwölf Monate lang durchexerzieren. An dem Projekt sind auch Flanders Synergy, eine Plattform für Arbeitsinnovation, sowie ein Forscherteam der VUB, der Freien Universität Brüssel, beteiligt.
Femma-Vize-Direktorin Riet Ory sagte der Zeitung De Morgen, dass die Medien zu Unrecht von einem Scheitern berichten. Der Sechs-Stunden-Tag sei ein Konzept für die ganze Gesellschaft. Das Göteborger-Experiment spiele sich aber auf einer Miniebene ab, die keine endgültigen Schlüsse zulässt, so Ory.
Ökonomen zweifeln Realisierbarkeit an
Dennoch sind nicht wenige Ökonomen der Meinung, dass ein Sechs-Stunden-Tag nicht realistisch ist. In manchen Bereichen, wo zum Beispiel mit Maschinen gearbeitet wird, seien bessere Ergebnisse vielleicht möglich, da die Menschen konzentrierter und dadurch auch kreativer arbeiten könnten, sagt der Professor für Arbeitssoziologie Geert van Hootegem von der Katholischen Universität Löwen (KU Leuven). Aber, dort wo man mit Menschen arbeitet und ein Dienst rund um die Uhr gewährleistet werden muss, gehe die Rechnung nicht auf.
Das Szenario sei ohnehin unrealistisch. Wenn die belgische Wirtschaft weiter drehen soll, brauche man alle Kräfte die man nur haben kann, so Van Hootegem in der Zeitung De Morgen. Die Vergreisung und demographische Entwicklung sorge für ein Fachkräftemangel auf dem Arbeitsmarkt. Ihm zufolge wird die Gruppe der 18- bis 65-Jährigen bis 2030 um rund zehn Prozent zurückgegangen sein. Dies bedeute, dass es für gewisse Jobs just weniger Menschen mit den nötigen Qualifikationen gibt.
Nicht weniger, sondern anders arbeiten
Van Hootegem sieht deshalb nur ein Modell, das glücklich und produktiv macht. Und zwar eines in dem man nicht weniger, sondern anders arbeitet. Die Frage sei nicht: Wie lange müssen wir pro Tag arbeiten? Sondern: Wie machen wir die Arbeitszeit so interessant wie möglich?
"Dass eine 30-Stunden-Woche uns alle zusammen glücklich macht, ist Unsinn", sagt auch der Genter Universitätsprofessor für Arbeitspsychologie Frederik Anseel in De Morgen. Natürlich gebe es Menschen, die weniger arbeiten möchten und dies auch tun. Andere würden aber lieber 40 Stunden pro Woche arbeiten. Eine feste Formel sei jedenfalls nicht brauchbar. Nicht jeder wolle in jeder Phase seines Lebens gleich lange auf der Arbeit sein.
Laut Professor Anseel wissen wir aber schon seit Jahren, wie das Rezept für Glück und Zufriedenheit am Arbeitsplatz lautet. Ein Rezept das nicht per Definition unbezahlbar sei. Anseel wörtlich: "Es geht nicht um die Anzahl der Stunden. Das Gefühl von Kontrolle und Autonomie, die Bedeutung die man einem Job gibt und die Wertschätzung die man dafür erhält: Das sind die wichtigsten Zutaten."
Manuel Zimmermann - Illustrationsbild: Michel Krakowski/BELGA