"Was wir befürchtet haben, ist eingetreten". Sichtbar angeschlagen spricht Premierminister Charles Michel am 22. März das verhängnisvolle Wort aus: "Attentate".
Zwei Anschläge, einer in Zaventem, der andere eine Stunde später in der Metrostation Maelbeek. Die Selbstmordattentäter töten insgesamt 32 Menschen, 340 weitere werden verletzt. Es ist das einschneidende Ereignis des Jahres 2016. Die Nachwirkungen sind spürbar bis heute.
Im Grunde stand das Jahr von Anfang an im Zeichen der terroristischen Bedrohung. Das traditionelle Silvesterfeuerwerk in Brüssel hatte schon abgesagt werden müssen, eine späte Folge des Lockdowns von November 2015 mit Terrorwarnstufe 4. Salah Abdeslam, der überlebende Paris-Attentäter, war immer noch flüchtig. Die Brüsseler Terrorzelle somit noch nicht ausgehoben.
Und aus all diesen Gründen habe man sich entschlossen, die Silvesterparty in der Innenstadt abzusagen, sagte der Brüsseler Bürgermeister Yvan Mayeur.
Bröckeltunnel und -reaktoren
Gleich zu Beginn des Jahres machen aber auch schon andere Geschichten von sich reden, die sich als Dauerbrenner erweisen sollten. Im Januar muss in Brüssel ein Straßentunnel nach dem anderen geschlossen werden. Der Grund ist immer der gleiche: mangelnder Unterhalt. Der Brüsseler Ministerpräsident Rudi Vervoort verweist etwas ungeschickt darauf, dass man die alte Bausubstanz ja 1989 lediglich geerbt habe.
Was des einen Bröckeltunnel, das ist des anderen "Bröckelreaktor". Das ganze Jahr über laufen die Nachbarländer Sturm gegen die belgischen Atomkraftwerke. Schon Anfang des Jahres vereinbaren Belgien und Deutschland gemeinsame Inspektionen der Meiler.
Deutschland, namentlich Umweltministerin Barbara Hendricks, wird dennoch später nachdrücklich verlangen, dass die Reaktorblöcke Doel 3 und Tihange 2 abgeschaltet werden.
Flüchtlinge
Anderes Thema, das auch schon von 2015 ins neue Jahr geschwappt war, ist die Flüchtlingskrise. Nach wie vor kommen Menschen über die Balkanroute nach Mittel- und Westeuropa. Dabei ist spätestens nach den Silvestervorfällen in Köln die Stimmung spürbar gekippt. Im Januar etwa denken einige Schwimmbäder insbesondere in Flandern über Schwimmverbote für Flüchtlinge nach, was eine ebenso laute wie unglücklich Polemik auslöst.
Anfang März ändert sich die Lage dann aber grundlegend. Erst schließen die Anrainerstaaten die Balkanroute, dann die EU einen umstrittenen Pakt mit der Türkei.
In der Praxis ist es so, dass die Türkei die Flüchtlinge, die auf dem Weg nach Europa sind, zurückhält - gegen Geld. In Belgien geht der Flüchtlingsdeal aber ziemlich unter. In Brüssel überschlagen sich gerade die Ereignisse.
Anti-Terror-Einsatz
"Einige Polizeibeamte sind bei einer Hausdurchsuchung beschossen worden", sagt Premierminister Charles Michel. 15. März. Polizeieinsatz in Forest. Eigentlich ging man davon aus, dass die untersuchte Wohnung leer ist. Stattdessen werden die Polizisten aber von Salven aus einem Sturmgewehr empfangen. Bei einem Schusswechsel werden drei Polizisten verletzt. Einer der Angreifer wird erschossen, den beiden anderen gelingt die Flucht.
Und das ist alles nur der Anfang, der Auftakt einer Woche von fast beispielloser Intensität. Zwei Tage später, 18. März. Paukenschlag. Die französische Presse meldet, dass in besagter Wohnung in Forest Fingerabdrücke entdeckt wurden und zwar von keinem geringeren als von Salah Abdeslam, dem überlebenden Paris-Attentäter, nach dem seit vier Monaten intensiv gesucht wird.
Dann geht alles ganz schnell: Eine Handyortung führt die Ermittler in die Rue des quatre vents nach Molenbeek. Am 18. März um 16.40 Uhr wird Salah Abdeslam festgenommen, sagt Eric Van der Sypt von der Föderalen Staatsanwaltschaft. Weil Abdeslam zu fliehen versucht, schießen ihm die Polizisten ins Bein. Aber Fakt ist: Der meistgesuchte Terrorist Europas ist gefasst. Noch dazu lebend. Es besteht also die berechtigte Hoffnung, dass der Verhaftete den Ermittlern mehr über die Terrorzelle erzählen kann, die am 13. November 2015 in Paris ein Blutbad anrichtete.
Anschläge in Zaventem und Brüssel
Niemand ahnt, dass irgendwo in Schaerbeek schon ein Countdown läuft. Dienstag, 22. März, 7:58 Uhr. Zwei Explosionen erschüttern die Abflughalle des Brussels Airport in Zaventem. Schnell machen Bilder der zerstörten Fassade die Runde. Jeder ahnt, was da passiert ist.
9:11 Uhr. Der schreckliche zweite Akt: Ein U-Bahnzug, der gerade die Metrostation Maelbeek verlassen hat, wird ebenfalls von einer verheerenden Explosion erschüttert.
Spätestens jetzt gibt es keinen Zweifel mehr: Brüssel erlebt einen Doppelanschlag. Gegen Mittag die offizielle Bestätigung aus dem Mund des Premierministers.
Schreckliche Bilder laufen in Schleife über die Fernsehbildschirme. Bilder von Menschen mit fruchtbaren Verletzungen. Bilder von der eingestürzten Abflughalle. Bilder des zerfetzten Metrozuges. Chaos. Terrorwarnstufe 4.
Am Abend wendet sich der König an die Bevölkerung. Das Staatsoberhaupt spricht den Angehörigen der Opfer sein Mitgefühl aus. Zugleich bedankt sich der König bei den Sicherheits- und Rettungskräften. Und zum Abschluss dann noch ein Appell zur Entschlossenheit, Besonnenheit und Würde: "Lassen Sie uns das Vertrauen in uns selbst bewahren", sagt der König, "dieses Vertrauen ist unsere Stärke."
Das allerdings ist dann doch leichter gesagt, als getan. Am Abend dieses 22. März befindet sich das ganze Land im wahrsten Sinne des Wortes in Schockstarre und es erwacht nur sehr langsam daraus.
Die Ermittler arbeiten ihrerseits auf Hochtouren. Schnell macht ein Foto die Runde, auf dem die drei Zaventem-Angreifer zu sehen sind. Zwei von ihnen haben sich in die Luft gesprengt, der dritte ist aber offenbar noch flüchtig.
Der flüchtige Terrorist wird zum meistgesuchten Verbrecher des Landes, bekannt unter dem Namen "Der Mann mit Hut".
24. März, zwei Tage nach den Anschlägen. Vorgesehen ist eine Gedenkfeier vor dem Parlament. Neuer Paukenschlag: Mitten rein platzt die Meldung, dass Justizminister Koen Geens und Innenminister Jan Jambon tags zuvor ihren Rücktritt eingereicht hätten.
Wenn schlimme Dinge passieren, und es besteht die Möglichkeit, dass irgendwo Fehler gemacht wurden, dann müssen Minister Verantwortung übernehmen, sagt Geens.
Michel lehnt das Rücktrittsgesuch ab. Dennoch bleibt die Frage: Von welchem Fehler spricht der Justizminister?
Die Antwort gibt's einen Tag später im Parlament: Innenminister Jan Jambon stellt einen Verbindungsoffizier an den Pranger. Der sei nur sehr nachlässig mit entscheidenden Informationen umgegangen, Informationen über einen der späteren Selbstmordattentäter von Zaventem. Dabei sei der Mann an der türkischen Grenze aufgegriffen worden, wollte sich also vermutlich der Terrormiliz IS anschließen. Da ahne man doch, dass es um Terrorismus geht.
Wer hier am Ende welchen Bock geschossen hat, das muss der parlamentarische Untersuchungsausschuss klären, der knapp sechs Wochen nach den Anschlägen eingesetzt wurde.
Die schreckliche Bilanz jedenfalls aus dem Mund der Sprecherin der Brüsseler Staatsanwaltschaft: 32 Tote, 15 Belgier und 17 Personen mit ausländischem Pass.
In Brüssel wird der Platz vor der Börse zur zentralen Gedenkstätte. Unzählige Menschen werden über Wochen hierhin kommen, um der Opfer zu gedenken, um einfach nur die Nähe zu anderen Menschen zu suchen, um gemeinsam zu trauern.
"Mann mit Hut"
Bleibt noch eine brennende Frage: Wo ist der "Mann mit Hut"? Und gab's vielleicht doch noch weitere Komplizen?
Die Antworten gibt's erst am 8. April, also mehr als zwei Wochen nach den Anschlägen.
"Mohamed Abrini ist festgenommen worden", sagt Thierry Weerts, Sprecher der Föderalen Staatsanwaltschaft. Abrini ist ein Freund von Salah Abdeslam und war auch schon an den Vorbereitungen für die Pariser Anschläge beteiligt. Abrini ist wohl der "Mann mit Hut", inzwischen besteht daran kein Zweifel mehr. Spätestens hier zeigt sich auch: Paris und Brüssel, das geht auf das Konto derselben Terrorzelle.
Wenige Stunden zuvor war auch schon der zweite Maelbeek-Terrorist festgenommen worden. Damit sind alle unmittelbar an den Anschlägen beteiligten Terroristen gefasst.
Belgien = Failed state?
Zweifellos ein Fahndungserfolg - das ändert aber nichts daran, dass Belgien in diesen Tagen mächtig unter Beschuss steht. Es hagelt Kritik aus dem Ausland. Der Brüsseler Stadtteil Molenbeek wird in der ausländischen Presse als "Dschihadisten-Hochburg" oder "Terror-Brutstätte" gebrandmarkt. Belgien insgesamt geht als "failed state" durch, als gescheiterter Staat.
Quatsch sei das, wettert Premier Michel vor ausländischen Pressevertretern. In einem "gescheiterten Staat" wären bestimmt nicht 100 Angeklagte in Terrorismusakten verurteilt worden.
Langsam aber sicher normalisiert sich das Leben in diesen ersten Apriltagen aber doch wieder. Die Metro nimmt ihren Betrieb schrittweise wieder auf, der Flughafen Zaventem schafft es in Rekordzeit, zumindest provisorisch wieder Flüge abzuwickeln.
Und auch der Polit-Betrieb geht langsam wieder in den Normalmodus über. Naja, "normal"? Im April gab's nacheinander drei Rücktritte.
Rücktritte
Joëlle Milquet, CDH-Superministerin in der Französischen Gemeinschaft, stolpert wegen einer alten Geschichte um mutmaßliche Phantomjobs.
Vier Tage später folgt eine Föderalministerin, die schon längst angezählt war. Transportministerin Jacqueline Galant wirkte von Anfang an überfordert, hat häufiger nur die halbe Wahrheit gesagt und stürzte am Ende über einen Fall mutmaßlicher Interessenverquickung.
In Flandern schließlich wirft Annemie Turtelboom das Handtuch, die ungewollt Namensgeberin für eine umstrittene Steuer geworden war und die das am Ende nicht mehr ausgehalten hat.
Gewerkschaftsproteste
Die Schonzeit ist definitiv vorbei. Auch an der Sozialfront brodelt es. Im April hatte die Regierung eine erste Haushaltskontrolle vorgenommen. Seither liegt auch die Idee einer "Aufweichung der 38-Stundenwoche" auf dem Tisch, ein neues "Rotes Tuch" für die Gewerkschaften, eins von vielen. FGTB-Generalsekretär Marc Goblet erklärt der Regierung auf seine eigene unnachahmliche Art den Krieg.
"Die Regierung besteht aus Dreckskerlen", sagt Goblet. Dreckskerle, die die Arbeiter nicht respektieren. Und gegen diese Dreckskerle ziehen die Gewerkschaften auch 2016 wieder zu Felde.
Der Monat Mai ist von einer lange nicht gesehenen Streikwelle geprägt. Die sozialistische Gewerkschaft CGSP gibt klipp und klar die Order aus, die Regierung zu stürzen.
Wilde Streiks bei der Nationalen Eisenbahngesellschaft SNCB: Fast eine Woche lang fährt insbesondere in der Wallonie so gut wie kein Zug. Obendrauf kommt es zu regelrechten Sabotageakten an Gleisen und Signalanlagen.
Arbeitsniederlegungen auch bei der wallonischen TEC, besonders kompromisslos stellen sich die frankophonen Gefängniswärter auf. Über 50 Tage lang weigern sie sich, an die Arbeit zu gehen. Ein Vermittlungsangebot nach dem anderen wird verworfen. Mitte Mai kommt es zu einer besonders hässlichen Szene: Wütende Gefängniswärter verwüsten das Justizministerium.
Am Ende müssen sie doch klein beigeben. Anfang Juni gehen die Gefängniswärter wieder an die Arbeit. Ihre Forderungen haben sie nur sehr bedingt durchsetzen können.
Brexit
Auch der Juni 2016 hat seinen Platz in der Geschichte schon sicher.
Die Briten schreiten zur Abstimmung, müssen eine Frage beantworten: bleiben oder gehen? To brexit or not to brexit? Bleiben sie in der EU, oder verlassen sie die Union? Die halbe Welt rechnet nicht mit einem Brexit, auch in Brüssel nicht. Am frühen Morgen des 24. Juni: Das Ergebnis des Referendums: Brexit!
Großbritannien wird die EU verlassen. Das Votum verschärft noch einmal die Sinnkrise, in der die EU ohnehin schon steckt. Man will sich aber nichts anmerken lassen: "Was Dich nicht tötet, das macht Dich stärker", sagt EU-Ratspräsident Donald Tusk.
Der Brexit, das ist auch ein Sieg der Populisten, der Emotionen über die Fakten. Das sollte nicht das letzte Mal im Jahr 2016 sein.
Die Brexit-Schockwellen hielten sich bislang noch eher in Grenzen. Man kann sich aber an den fünf Fingern abzählen, dass auch die belgische Wirtschaft unter dem Ausstieg der Briten leiden wird. Im März 2017 will die britische Regierung offiziell den Antrag auf ein Ausscheiden aus der EU stellen.
Brüssel erholt sich von den Anschlägen
Erstmal geht's aber geradewegs in die Sommerpause. In Zaventem hat man das Unmögliche möglich gemacht. Nach den Anschlägen vom 22. März hatte man die Passagier-Abfertigung erst einmal in ein Zelt verlegt. Währenddessen wurde in Rekordzeit die eingestürzte Eingangshalle wiederaufgebaut. "Wir wollten bereit sein für den Beginn der Urlaubssaison", sagt Flughafenchef Arnaud Feist. "Und wir haben es geschafft."
Und der Sommer beginnt noch fröhlich und vergleichsweise unbeschwert. Auch die drakonischen Sicherheitsmaßnahmen können den Fans die Fußball-EM in Frankreich nicht vermiesen. Das besorgen andere: "Belgien ist raus – was für eine Enttäuschung", sagt der VRT-Kommentator nach dem Abpfiff.
Fußball-EM & Olympia
Für den Geheimfavoriten ist im Viertelfinale Schluss. Die Roten Teufel werden von Wales mit 3:1 nach Hause geschickt.
Die Olympischen Spiele, die wenig später in Rio beginnen, fallen für die Belgier dagegen rundweg positiv aus. Gold für die Siebenkämpferin Nafissatou Thiam: damit hatte niemand gerechnet. Der Radfahrer Greg Van Avermaet holt ebenfalls Gold. Insgesamt springen sechs Medaillen heraus, zwei mal Gold, zwei mal Silber, zwei Mal Bronze.
Der Terror kehrt zurück
Abgesehen davon sind die Ferienmonate aber nur sehr selten wirklich wohltuend. Vielmehr kann man von einem "Sommer des Terrors" sprechen. Ab Mitte Juli vergeht gefühlt kein Tag ohne Anschlag.
14. Juli, Nizza: der grausige Auftakt. Ein Terrorist fährt auf der berühmten "Promenade des Anglais" mit einem LKW in eine feiernde Menschenmenge. Die Opferbilanz ist verheerend: Mindestens 86 Menschen werden getötet und mehr als 300 verletzt, einige von ihnen schwer.
Bestürzung, Entsetzen, Fassungslosigkeit. Wann hört das endlich auf, fragt sich erschüttert EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.
Würzburg, Ansbach, Saint-Étienne-du-Rouvray, die Serie geht weiter. Am 6. August trifft es wieder Belgien. Großalarm in Charleroi. Polizeisprecher David Quinaux erklärt, was passiert ist: Ein Mann ist vor dem Polizeipräsidium vorstellig geworden. Kaum angekommen, holt er eine Machete aus seiner Tasche, schreit "Allahu akbar" und verletzt zwei Polizistinnen schwer. Eine dritte Polizistin zieht ihre Waffe und drückt zwei Mal ab. Der Täter erliegt im Krankenhaus seinen Verletzungen.
Premierminister Charles Michel bricht sofort seinen Urlaub ab. Das sei ein weiterer feiger und niederträchtiger Akt. Sein Mitgefühl gelte den verletzten Polizistinnen. "Mehr denn je sind wir entschlossen, jegliche Form von Gewalt zu bekämpfen", sagt Michel.
Im Sommer gab's auch wenigstens zwei spektakuläre Fehlalarme. Mitte Juni sorgte ein Spinner dafür, dass das Brüsseler Einkaufszentrum City 2 geräumt werden musste. Und am 20. Juli, kurz vor dem Nationalfeiertag, gab's helle Aufregung: Ein Mann, der mitten im Hochsommer einen Wintermantel trug, aus denen noch dazu Kabel herausragen, spaziert durch die Hauptstadt. Die Polizei sperrt weite Teile des Zentrums ab. Es stellt sich aber heraus, dass es sich um einen Studenten handelte, der Messungen durchführte.
Obendrauf sorgt der Putschversuch in der Türkei Mitte Juli weltweit für Besorgnis und Unruhe, auch innerhalb der türkischen Gemeinschaft in Belgien.
All das hinterlässt Spuren. Auch in den Köpfen der Menschen. Nicht umsonst hatte König Philippe schon zum Nationalfeiertag insbesondere vor den Gefahren des Populismus gewarnt.
Doch es gibt auch ganz konkrete Auswirkungen. Das "Urlaubsland Belgien" hat schon bessere Zeiten erlebt. erst der Lockdown, dann die Anschläge: die Tourismusbranche leidet, Hotels und Restaurants müssen erhebliche Einbußen hinnehmen. Und es sei nach wie vor keine wirkliche Kehrtwende zu erkennen, sagt Danny Van Assche vom Dachverband "Horeca".
Caterpillar-Gosselies schließt
Doch auch in anderen Branchen geht’s schlecht. Der Herbst beginnt mit einem Paukenschlag: "Das war die Faust ins Gesicht", sagt dieser Arbeiter. Wir hatten befürchtet, dass die Produktion noch ein bisschen mehr zurückgefahren werden könnte, aber eine Schließung? Nie!
2. September: Die Mitarbeiter von Caterpillar-Gosselies erleben einen Albtraum. Innerhalb von weniger als 24 Stunden waren erst - quasi aus heiterem Himmel - dunkle Wolken aufgezogen und dann entlädt sich auch schon ein verheerendes Gewitter: Die Niederlassung wird dichtgemacht. Über 2.000 Arbeitsplätze gehen unmittelbar verloren, daneben noch mal hunderte weitere Jobs bei Zulieferern.
"Ein schrecklicher schwarzer Freitag für Charleroi", sagt der MR-Vorsitzende Olivier Chastel. "Eine Tragödie, natürlich besonders für die Arbeiter und ihre Familien", fügt Wirtschafts- und Arbeitsminister Kris Peeters hinzu.
Nicht immer trifft es tausende Menschen. Am selben Tag wird ein Junge in einem belebten Park in Gent tot aufgefunden. Mitten unter uns ist der Mittellose Jordy verhungert.
Finanzbranche streicht Jobs
Caterpillar, das war aber nur der Anfang. Auch im Finanzsektor zieht ein Sturm auf. Der Versicherer Axa macht den Anfang. Eine Kalte Dusche: 650 Jobs sollen abgebaut werden. Eine Woche später gibt auch der Versicherer P&V die Streichung von 300 Arbeitsplätzen bekannt.
Der richtige Knall kommt dann aber Anfang Oktober: Die ING-Bank will allein in Belgien 3.000 Stellen abbauen. Die Begründung, die ING-Belgien-Chef Rik Vandenberghe angibt, die kann auf die gesamte Branche angewandt werden: Die derzeitigen Niedrigzinsen setzten die Finanzbranche unter Druck. Darüber hinaus müssen sie sich angesichts der rasend fortschreitenden Digitalisierung neu aufstellen.
Caterpillar, Axa, ING, aber auch Douwe Egberts oder MS Mode und noch eine ganze Reihe anderer Sozialdramen - ein denkbar unglücklicher Kontext für die Haushaltsberatungen.
Haushaltsloch
Die Regierung hatte das Budget ohnehin schleifen lassen. Eigentlich hätte die Haushaltskontrolle schon im Sommer stattfinden sollen, seinerzeit verfügte man aber nicht über alle Zahlen.
Im September geht's die Koalition also an. Keine leichte Aufgabe: In den Ferien gab's immer wieder Meldungen, wonach das Haushaltsloch nur noch größer und größer werde.
Im Herbst dann, der Knaller: Nicht 2,4 Milliarden muss die Regierung auftreiben, um den Haushalt in der EU-Spur zu halten, es sind 4,2 Milliarden. Während die Opposition der Regierung schon "Totalversagen" vorwirft, relativiert Haushaltsministerin Sophie Wilmès. In der Vergangenheit habe eine Regierung auch schon mal bis zu 5 Milliarden auftreiben müssen.
Die Ursachen für die Haushaltsentgleisung sind vielfältig: schwächelnde Konjunktur, steigende Inflation. Das Hauptproblem der Regierung ist aber, dass ein ums andere Mal die Einkünfte zu hoch eingeschätzt werden. Finanzminister Johan Van Overtveldt muss sich dafür das ganze Jahr lang Vorwürfe wie "Dilettantismus" an den Kopf werfen lassen. Zumal Skandale wie die Panama-Papers auch in diesem Jahr gezeigt haben, in welchem Maße sich Superreiche und Konzerne der Steuer entziehen.
Anfang Oktober: eigentlich soll Premier Michel in der Kammer seine Rede zur Lage der Nation halten und dabei auch den Haushalt vorstellen. Die Beratungen sind aber noch nicht abgeschlossen. Schlimmer noch: "Es ist doch nur eine kleine Pause", sagt der CD&V-Vizepremier Kris Peeters. Das allerdings ist eine leichte Untertreibung.
Peeters pokert
Vielmehr ist es so: Peeters hat mitten in der Nacht den Verhandlungstisch verlassen, die Tür zugeknallt. An diesem 10. Oktober scheint die Regierung mit einem Mal an einem seidenen Faden zu hängen. Zumal sie ihrem Ruf als "Kabbelkabinett" das ganze Jahr lang alle Ehre gemacht hat. Peeters verlangt, dass die Regierung eine Steuer auf Börsenmehrwerten einführt. Die Koalitionspartner wollen das nicht. Ein Hauch von Krise weht durch die Rue de la Loi.
Und obendrauf macht das Parlament der Regierung zusätzlich die Hölle heiß, weil der Premier eben nicht fristgerecht erschienen ist. Zwei Tage später stellt Charles Michel sich dann doch der wütenden Opposition.
Laurette Onkelinx, PS, spricht von "Massenschlägerei", Catherine Fonck, CDH, bescheinigt der Regierung eine "Krise".
Und der Premier scheint der Opposition recht zu geben: Fast schon pathetisch wendet er sich an die eigenen Mehrheitspartner. Jeder solle jetzt Verantwortungsbewusstsein an den Tag legen.
Ende der Woche gibt's dann doch noch eine Einigung. Die Rede zur Lage der Nation findet am darauf folgenden Sonntag statt. Das gab's wohl auch noch nicht.
Wallonie blockiert Ceta
Doch hat die Regierung da schon ein neues Problem. Das allerdings bekommt sie quasi frei Haus aus Namür geschickt: Die Wallonische Region sagt "Nein!" zu Ceta, dem Freihandelsabkommen mit Kanada. Namür fordert Nachverhandlungen. Die Zeit drängt.
21. Oktober: Beim EU-Gipfel sollen eigentlich alle Mitgliedstaaten zustimmen. Die Haltung von Belgien hängt aber an der der Wallonie. Und der wallonische Ministerpräsident Paul Magnette bleibt hart.
Die Schiedsgerichte sind es, die Paul Magnette immer noch Bauchschmerzen bereiteten. Die entsprechenden Passagen seien nicht ausformuliert. Und er sträube sich, die Katze im Sack zu kaufen. Und bei all dem werde er sich nicht unter Druck setzen lassen.
Die kanadische Handelsministerin, die eigens nach Belgien gekommen war, um die Kuh noch vom Eis zu kriegen, gibt auf. Sie sei maßlos enttäuscht, sagt Freeland den Tränen nahe.
Premier Michel kann beim EU-Gipfel dann auch kein Grünes Licht geben. Cetaliegt damit erstmal auf Eis, eine peinliche Niederlage für die EU, die einmal mehr ihre Sinnkrise schriftlich bekommt.
Und es bleibt erstmal bei der Blockade. In der darauf folgenden Woche muss auch der EU-Kanada-Gipfel abgesagt werden. Paul Magnette wird in der Zwischenzeit zur Ikone von Globalisierungskritikern in ganz Europa und wohl auch darüber hinaus.
Innerbelgisch sorgt das Ganze derweil für den Beginn einer gemeinschaftspolitischen Krise: Insbesondere in Flandern reagiert man fassungslos auf die wallonische Blockadehaltung.
Am 27. Oktober gibt’s dann aber doch weißen Rauch: Der Wallonische Ministerpräsident Paul Magnette ist derweil "hochzufrieden": "Wir haben uns immer eingesetzt für den Schutz von Sozial- und Umweltstandards und der Öffentlichen Dienste."
Der eine ohne andere mag hier einen Roten Faden erkennen: Brexit, die Ceta-Debatte, beide Male schwingt hier die Angst vor der Globalisierung mit, ebenso wie ein gewisser Wunsch zur Abschottung, insgesamt der Eindruck vieler Menschen, abgehängt, im Stich gelassen zu werden. Zeichen der Zeit.
Trump wird US-Präsident
Und eben diese Gefühle tragen in den USA einen Mann an die Spitze der Macht, über den man noch vor einigen Monaten gelacht hat. Der ebenso exzentrische wie egomanische und noch dazu vulgäre Donald Trump wird der 45. US-Präsident. Das Ergebnis der Wahl vom 8. November hat viele buchstäblich umgehauen. Zwar gratuliert man aus Europa brav dem Sieger. Es gibt aber auch gleich warnende Stimmen. Außenminister Didier Reynders sieht in der Wahl Trumps einen Trend, der nach Europa überzuschwappen droht. Nämlich: Die Angst vor Veränderungen und der Vormarsch von Populisten.
Mit Donald Trump wird sich wohl insbesondere die US-Außenpolitik fundamental verändern. Es droht ein rauer Wind aus Übersee nach Europa zu wehen. Auch die NATO, die der Kandidat Trump regelmäßig als "überflüssig" hingestellt hatte, wird wohl auf dem Prüfstand landen.
Visumstreit
Das Ende des politischen Jahres in Belgien wird von zwei Affären geprägt. Zunächst der so genannte Visumstreit: Asylstaatssekretär Theo Francken verweigert einer syrischen Familie aus Aleppo ein humanitäres Visum. Die Gerichte des Landes sehen darin aber einen Rechtsbruch und verurteilen ein ums andere Mal den belgischen Staat.
Daraufhin fährt die N-VA, die Partei von Theo Francken, eine umstrittene Kampagne, in der Richter als "weltfremd" verunglimpft werden. N-VA-Chef Bart De Wever geht voll in die Vollen: Wir haben genug von diesem "richterlichen Aktivismus". In einer Demokratie mache allein das Volk die Gesetze, bzw. dann das Parlament, nicht die Richter.
Bart De Wever warnt sogar vor einer "Herrschaft der Richter", ein klarer Angriff auf die Grundfesten des demokratischen Rechtsstaates. Die Episode steht in gewisser Weise symptomatisch. Das ganze Jahr über hat die N-VA in regelmäßigen Abständen - quasi aus der Regierung heraus - Fundamentalopposition betrieben. Offensichtlich will man sein Image als Anti-Establishment-Partei pflegen, trotz Regierungsbeteiligung.
Kasachgate
Eine andere Regierungspartei, die MR, könnte sich ihrerseits schon bald in einem Albtraum wiederfinden, mit Namen: "Kasachgate". Der MR-Spitzenpolitiker Armand De Decker soll 2011 maßgeblich dazu beigetragen haben, dass ein Gesetz verabschiedet wird, das einem kasachischen Milliardär faktisch Straffreiheit einräumte. Besonders pikant: der Politiker De Decker war zugleich der Anwalt von besagtem Geschäftsmann.
Er selbst habe sich nach eigenen Worten nichts vorzuwerfen. Gerade erst wurde ein Untersuchungsausschuss eingesetzt, der Licht in die Kasachgate-Geschichte bringen, die längst alle Züge einer Staatsaffäre trägt.
Terror in Berlin
Als hätte das Jahr nicht schon genug Leid gebracht: Ende des Jahres wurde die Welt noch einmal schmerzlich daran erinnert, wie unmittelbar die terroristische Bedrohung immer noch ist. 19. Dezember, Berlin. Auf einem Weihnachtsmarkt richtet ein Attentäter mit einem LKW ein Blutbad an. Zwölf Menschen sterben.
Neben Premier Michel spricht auch Kammerpräsident Siegfried Bracke bei einer Schweigeminute im Parlament den Opfern und Angehörigen sein Mitgefühl aus: "Wir in Belgien wissen nur zu gut, wie sich das anfühlt."
Brüssel, Nizza, mit einem Mal sind die schrecklichen Erinnerungen wieder lebendig. Das Jahr endet, wie es begonnen hat, mit der Gewissheit, dass wir wohl oder übel mit der terroristischen Bedrohung leben müssen.
Roger Pint - Bild: BRF
Sehr gehrter Herr Pint,
ich möchte Sie in aller Ehrlichkeit fragen, ob man bei jeder zweiten Angelegenheit immer das Wort "National" gebrauchen muss.
Ihre Beitrgäge sind grundsätzlich von sehr guter Qualität. Nur bedenken Sie bitte, dass das Wort "National" seit den Naziverbrechen einen negativen Beigeschmack mit sich bringt, weil auch Belgien kräftig mit den Nazis kollaboriert hat wie fast alle europäischen Länder.
Alles Gute für Sie und bleiben Sie mutig in der objektiven Darstellung der Dinge!