Bei diesen Wahlen gab es zwei große Gewinner. In Flandern errang die flämisch nationalistische N-VA mit Bart De Wever fast 30% der Stimmen. In der Wallonie bescherten die Wähler der PS und ihrem Vorsitzenden Elio Di Rupo einen glanzvollen Sieg. Diese Wahlen haben mehr geändert, als man auf den ersten Blick erkennt.
Das große Verdienst dieser Wahlen ist, dass sie die Karten neu verteilt und Klarheit geschaffen haben: In der Wallonie wurde links gewählt und damit für Kontinuität gestimmt. Die flämischen Bürger sprachen sich für rechte und nationalistische Parteien, also eindeutig für eine Änderung der Staatsstrukturen aus. Sie haben die politische Landschaft in Flandern vereinfacht und saniert, indem sie die populistische Liste Dedecker ausmerzten und dem undemokratischen rechtsradikalen Vlaams Belang die Federn stutzten.
Der Start von Regierungsverhandlungen ist einfacher geworden. Die beiden Sieger müssen miteinander reden. Die Bildung einer Koalition liegt auf der Hand, nämlich mit den gleichen Parteien wie auf regionaler Ebene, also in Flandern N-VA, CD&V und SP.A und in der Wallonie PS, CDh und ECOLO. Das würde gerade bei gemeinschaftspolitischen Verhandlungen die direkten Kontakte zu den Regionalregierungen erleichtern.
Die MR und vor allem ihr Partner FDF, der für viele Flamen ein rotes Tuch ist, würden in die Opposition geschickt. Die Spaltung von BHV, so ist in Flandern zu hören, könnte dadurch erleichtert werden und innerhalb von zwei Monaten über die Bühne gehen. Schließlich hat das Wahlresultat N-VA und PS so viel Gewicht gegeben, dass sie ihren Wählern verpflichtet sind, einen Ausweg aus der Sackgasse zu finden.
Die beiden Präsidenten scheinen das verstanden zu haben. Bart De Wever sprach von einer ausgestreckten Hand und seiner Absicht, Brücken zu bauen, die beide Gemeinschaften miteinander verbinden. Di Rupo erklärte, man müsse berücksichtigen, was die flämischen Bürger mit ihrer Wahl ausdrücken wollten. De Wever wird wohl Kontakt zu den anderen flämischen Parteien aufnehmen, um ein gemeinsames Vorgehen abzusprechen. Er wird dabei mit flämischen Parteien verhandeln müssen, die nicht alle für eine flämische Unabhängigkeit sind. Er muss auch zwei eigene Wählergruppen unter einen Hut bringen: jene, die die N-VA wegen ihres separatistischen Programms gewählt haben, und jene, die im Königreich bleiben und mit den Frankophonen verhandeln wollen.
Auch andere Programmpunkte der flämischen Nationalisten werden harte Diskussionen auslösen. Das Wirtschafts- und Sozialprogramm der N-VA ist in vielen Punkten das Gegenteil der Vorstellungen der wallonischen Sozialisten. Die PS teilt auch weder den Ruf nach einer Spaltung der Sozialen Sicherheit noch einer Auflösung der Region Brüssel.
Die große Frage bleibt, ob Bart De Wever zu echten Koalitionsverhandlungen bereit ist und ob er sie überhaupt will. Zweifel sind erlaubt. Es könnte sein, dass er die Verhandlungen nur nutzen will, um zu zeigen, dass ein Zusammenleben der beiden großen Gemeinschaften in diesem Land nicht mehr möglich ist.
Von den Frankophonen darf man jetzt erwarten, dass sie ehrliche Bereitschaft für Verhandlungen mit den Flamen zeigen und sich nicht prinzipiell allen flämischen Forderungen widersetzen. Das hindert sie nicht daran, Grenzen aufzuzeigen, die nicht überschritten werden dürfen. Di Rupo und De Wever haben bald das Schicksal des Landes in ihren Händen.