Kasachgate - die Geschichte enthält alle Zutaten einer lupenreinen Staatsaffäre. Deswegen zieht auch der eine oder andere eine Parallele mit der Agusta-Affäre, die in den 90er Jahren die Sozialisten erschütterte...
Kasachgate ist allerdings in erster Linie ein blauer Albtraum. In einer der Hauptrollen: der MR-Politiker Armand De Decker. De Decker, heute Bürgermeister von Uccle, war immerhin mal Senatspräsident. Sein Adressbuch gilt als besonders dick. Der Mann hat Beziehungen - und er hat Einfluss. Wohl genau deswegen ist er wohl auch Dreh- und Angelpunkt in der Geschichte...
Rückblick
Aber von vorn: Was jetzt folgt, das ist die Kurzfassung dessen, was Justizbehörden und Journalisten in den letzten Jahren zusammengetragen haben. Alles beginnt demnach 2011 in Frankreich. Die damalige Regierung von Präsident Nicolas Sarkozy will einen Hubschrauber-Deal mit Kasachstan einfädeln. Da gibt’s aber ein Problem: Ein dicker Freund des kasachischen Staatspräsidenten Nasarbajew hat Ärger mit der Justiz in Belgien.
Besagter Freund, das war Patokh Chodiew. Der Milliardär mit kasachischem und belgischem Pass war 2011 tatsächlich wegen mutmaßlicher Geldwäsche im Fadenkreuz der belgischen Justiz. Und angeblich stand da plötzlich ein Kuhhandel im Raum: Kasachstan würde ja gerne die Helikopter kaufen, wenn Chodiew und zwei seiner Geschäftsfreunde nicht vor Gericht landen...
Daraufhin soll also die französische Seite in dieser Sache an die belgischen Kollegen herangetreten sein - eben mit der mehr oder weniger klar formulierten Bitte, dafür zu sorgen, dass Patokh Chodiew wieder ruhig schlafen kann...
Letzteres jedenfalls ist passiert: Chodiew kam in den Genuss einer niegelnagelneuen Regelung, die es erlaubte, außergerichtliche Deals abzuschließen. Konkret: Nach Zahlung einer Geldbuße können die gerichtlichen Ermittlungen eingestellt werden, das heißt: Es kommt nicht zum Prozess... Im Juni 2011 hat Patokh Chodiew Gebrauch von dieser Regelung gemacht. Just in Time, könnte man sagen, also gerade noch rechtzeitig. Einige Tage später fand in Paris die Le Bourget-Luftfahrtmesse statt - und bei der Gelegenheit wurde der Verkauf von 48 französischen Hubschraubern an Kasachstan besiegelt.
Zufall oder nicht? Seit Jahren schon mutmaßt die Pariser Presse, dass die Belgier da gesetzgeberische Maßarbeit geliefert haben. Und hier kommt Armand De Decker ins Spiel. Der soll eben mit seinen Beziehungen maßgeblich dafür gesorgt haben, dass das Gesetz fristgerecht durchs Parlament ging.
Dokumente bestätigen De Deckers fürstliche Entlohnung
Fakt ist: Armand De Decker war seinerzeit quasi in doppelter Mission unterwegs: Auf der einen Seite war er Parlamentarier, auf der anderen Seite war er aber auch mal eben Anwalt von Patokh Chodiew. Und für diesen Job wurde De Decker doch fürstlich entlohnt: rund 730.000 Euro - das entspricht einem Stundenhonorar von über 2.000 Euro.
De Decker hatte die Summe noch vor einigen Monaten in der RTBF als "hanebüchen" bezeichnet. Inzwischen liegen aber Dokumente vor, die die Summe bestätigen. Warum ein solches Honorar? Da kann man nur spekulieren.
Allerdings, so erinnerte sich der Groen-Abgeordnete Stefaan Van Hecke: Die Art und Weise, wie das Gesetz über die außergerichtlichen Einigungen seinerzeit im Frühjahr 2011 verabschiedet wurde, die sei schon sehr seltsam gewesen. Am Ende sei der Text einfach einem anderen Gesetzesvorschlag angehängt worden und zwar in Form eines einfachen Abänderungsvorschlags. Dieses Vorgehen sei vollkommen unüblich gewesen. Eins ist sicher: Der eigentlich zuständige Justizausschuss der Kammer hätte das Gesetz bestimmt nicht einfach so durchgewunken...
Mail aufgetaucht
Das beweist natürlich immer noch nichts... Doch ist inzwischen eine Mail aufgetaucht, von einem gewissen Jean-François Etienne des Rosaies. Der war in der fraglichen Zeit ein enger Mitarbeiter des damaligen französischen Innenministers. In dem Schreiben meldet er Vollzug: Patokh Chodiew habe keinen Prozess mehr zu befürchten. Und das sei auch durch die Intervention von Armand De Decker zustande gekommen, der drei belgische Minister entsprechend "sensibilisiert" habe, nämlich die Minister für Justiz, Finanzen und auswärtige Angelegenheiten, also: die Herren De Clerck, Reynders und Vanackere. Der CD&V-Politiker Stefaan De Clerck hat tatsächlich bestätigt, dass De Decker bei ihm in der Sache vorstellig geworden ist, er sei aber nicht weiter drauf eingegangen.
Wenn davon nur die Hälfte stimmt, dann haben wir es hier mit einer Staatsaffäre zu tun, sagte die Groen-Vorsitzende Meyrem Almaci. Die Kasachgate-Geschichte, die stinke doch zum Himmel.
Die Affäre hat jedenfalls potentiell enorme Sprengkraft. Hier können nicht nur einige Spitzenpolitiker, sondern gleich die Grundfesten des Staates ins Wanken geraten. Auch deswegen wird also jetzt eine parlamentarische Untersuchungskommission der Sache auf den Grund gehen...
Roger Pint - Archivbild: Benoit Doppagne/BELGA