Die Nacht vom 15. auf den 16. Juli 2013: Dunkle Gestalten schleichen durch die menschenleeren Straßen von Uccle. Besonders interessiert sie die Galerie Van Buuren, ein nicht ganz so bekanntes kleines Museum in dem Brüsseler Nobelviertel, das in einer ehrwürdigen Art déco-Villa untergebracht ist. Sie verschaffen sich Zugang zu dem Gelände - und dann geht alles sehr schnell. In Windeseile wird eine Hintertür aufgebrochen. Die Täter schnappen sich einige Bilder und verschwinden auch gleich wieder, wie sich Isabelle Anspach erinnert, Kuratorin des Van Buuren-Museums.
Genau zwei Minuten und drei Sekunden hat der Einbruch gedauert. Die Täter wussten, wonach sie suchten. Sie raubten kleinere Arbeiten von Rembrandt, aber vor allem ein Bild des belgischen Meisters James Ensor und - besonders wertvoll: Die "Denkerin" des niederländischen Malers Kees Van Dongen. Allein dieses Gemälde werde auf 1,2 Millionen Euro geschätzt.
Artnapping
Der Raub sorgte seinerzeit im Sommer 2013 kurz für Aufsehen, danach hörte man aber nichts mehr... Hinter den Kulissen freilich ging die Geschichte weiter. Kurz nach dem Raub klingelt das Telefon von Kuratorin Isabelle Anspach. "Wir haben die Denkerin", sagt eine unbekannte Stimme am anderen Ende der Leitung. Sie habe dann ein Foto verlangt, auf dem das Gemälde zu sehen sein sollte mit einer aktuellen Tageszeitung. "Das war wie im Film", sagte Isabelle Anspach.
"Artnapping" nennt man das: Räuber verlangen ein Lösegeld für ein Kunstwerk, wohlwissend, dass sie das Diebesgut schwerlich auf andere Art und Weise zu Geld machen können.
Die Polizei rät der Kuratorin, die Verhandlungen den Profis zu überlassen: Experten der Versicherungsgesellschaft, die den Van Dongen versichert hatte, übernehmen die Verhandlungen mit den "Artnappern". Darunter ist ein verdeckter Ermittler der Polizei. Und laut dem französischen Wochenmagazin Paris Match hatte der Beamte einen der Diebe zweifelsfrei erkannt: Es war Khalid El Bakraoui.
Khalid El Bakraoui an Diebstahl beteiligt
Khalid El Bakraoui ist einer der Selbstmordattentäter vom 22. März. Er sprengte sich in der Metrostation Maelbeek in die Luft. El Bakraoui war aber schon 2013 wegen seines ellenlangen Strafblatts den Behörden einschlägig bekannt.
Neben El Bakraoui waren noch zwei weitere Männer an den Verhandlungen beteiligt; und auch diese beiden haben - wie sich später zeigte - mehr oder weniger direkte Kontakte zu Mitgliedern der späteren Terrorzelle von Brüssel.
Die Paris-Match-Story hat die Museumskuratorin Isabelle Ansprach regelrecht geschockt. Erstmal muss man davon ausgehen, dass diese Leute schon vor dem Raub mehrmals im Van Buuren-Museum waren, um das Gebäude auskundschaften zu können. "Die Vorstellung, dass Leute dieses Kalibers hier in unseren Räumlichkeiten waren, ist schon sehr verstörend", sagt Isabelle Anspach.
Im Nachhinein hatte sich sogar eine Mitarbeiterin an einen seltsamen Besucher erinnert, der offensichtlich mit Perücke und falschem Bart an der Kasse vorstellig geworden war. Aber gut, nachher ist man immer schlauer...
Finanzierung von Terroranschlägen?
Jetzt jedenfalls stellt man sich in Uccle natürlich eine Frage: Hat die Beute von 2013 vielleicht am Ende gar zur Finanzierung von Terroranschlägen gedient? Allein der Gedanke sei erschütternd, sagt die Kuratorin. "Unser wunderbarer Van Dongen...". "Hätte mir einer gesagt, dass unser Museum irgendwann mal mit Terrorismus in Verbindung gebracht werden kann - wenn auch indirekt -, ich glaube, ich wäre vom Stuhl gefallen."
Wo der Ensor und der Van Dingen geblieben sind, das ist indes unklar. Aufgetaucht sind die Bilder bislang anscheinend nicht. Die Geschichte zeigt allerdings wie kreativ Terroristen bei der Suche nach möglichen Geldquellen vorgehen, um ihre Anschläge zu finanzieren.
Roger Pint - Bild: Olivier Vin/BELGA