Zwar war der Kahlschlag bei ING erwartet worden, die Ankündigung ist trotzdem eingeschlagen wie eine Bombe. "Schäm dich, ING", haben die Gewerkschaften auf ein großes Banner drucken lassen, das vor dem belgischen Hauptsitz der Bank in Brüssel aufgehängt wurde.
In den kommenden fünf Jahren will die niederländische Bankengruppe 3.500 Stellen in Belgien streichen. 1.700 Mitarbeiter werden entlassen, die übrigen werden nach Auslaufen ihres Vertrags oder bei Ende ihrer Laufbahn nicht ersetzt. Mittelfristig fällt damit jede zweite Stelle der Bankengruppe weg.
Betroffen sind sowohl ING-Mitarbeiter als auch Beschäftigte des Tochterunternehmens Record-Bank. Das Zweigstellen-Netz der beiden Finanzhäuser soll zusammengelegt werden. 600 der mehr als 1.200 Filialen von ING und Record Bank in Belgien sollen verschwinden.
"Katastrophe für den Arbeitsmarkt"
"Ein Skandal, eine Katastrophe für den Arbeitsmarkt", sagt Herman Vanderhaeghen von der CSC. Was den Arbeitnehmervertreter besonders ärgert: "Das Unternehmen macht Gewinn und trotzdem setzt es so viele Mitarbeiter vor die Tür." Vanderhaeghen spielt auf die sieben Milliarden Euro an, die ING Belgien in den vergangenen fünf Jahren an das niederländische Mutterhaus in Amsterdam überwiesen hat.
Die Entscheidung, etwa die Hälfte der Filialen zu schließen, wird nicht zuletzt auch von Verbraucherschützern kritisiert. Vor allem Menschen mit wenig Computerkenntnissen würden dadurch benachteiligt, sagt die Verbraucherschutzorganisation Test Achat. Sie fordert daher eine Mindestversorgung durch Geschäftsstellen. Darüber hinaus beklagt Test Achat, dass Bankkunden zunehmend höhere Gebühren in Kauf nehmen müssten. Somit würden Kunden doppelt bestraft, heißt es.
Auf der ING-Chefetage sieht man die aktuellen Ereignisse naturgemäß ganz anders. An der Modernisierung der Bankengruppe führe kein Weg vorbei. Auch er habe in den letzten Tagen schlecht geschlafen, sagt ING-Belgien-Chef Rik Vandenberghe. Der Stellenabbau sei ein schwieriger Schritt, der für die Zukunft des Unternehmens aber unumgänglich sei, sagte Vandenberghe am Montagvormittag auf einer Pressekonferenz.
Febelfin: ING-Entlassungen unvermeidlich
Auch Michel Vermaercke vom Bankenverband Febelfin sprach in der VRT von einem traurigen Tag für den Sektor. Dennoch sei der Schritt notwendig, damit ING auch künftig ein gesundes Unternehmen bleibe. Vermaercke sieht auch eine Teilverantwortung in der Politik. Der Bankensektor entrichte jährlich rund 800 Millionen Euro als besondere Bankensteuer an den Staat. Diese Abgabe gebe sonst nirgends und mit dem Geld könne man 10.000 Jobs schaffen, so Vermaercke. Außerdem beklagt er die hohen Lohnkosten in Belgien.
Europaweit streicht ING insgesamt 7.000 Stellen, die meisten davon in Belgien und mehr als 2.000 in den Niederlanden. Dadurch sollen 900 Millionen Euro jährlich eingespart werden. Die Bankengruppe will in den kommenden Jahren in das Online-Geschäft investieren. Das dichte Filialnetz soll kleiner werden, dafür sollen die Kunden aber besser beraten werden.
Für den massiven Stellenabbau führt die Chefetage zwei Hauptgründe an: Die anhaltenden Niedrigzinsen, die die Gewinne der Banken dahinschmelzen lassen und die rapide zunehmende Digitalisierung. Nicht ausgeschlossen, dass andere Banken in den kommenden Monaten nachziehen. BNP Paribas Fortis hat am Wochenende ebenfalls Umstrukturierungspläne erwähnt…
Michel: ING soll ihre Verantwortung übernehmen
Premierminister Charles Michel ist bewusst, dass er die Entwicklung der Bankenwelt hin zum Online-Geschäft nicht stoppen kann. Er appellierte aber an die ING-Direktion, die Zahl der Entlassungen auf ein Minimum zu beschränken. Er denke vor allem an die Mitarbeiter, denen gekündigt werde. Für sie müsse die Bank Verantwortung übernehmen. Auch müsse ING die zu entlassenen Mitarbeiter vernünftig bei der Suche nach einem neuen Job unterstützen. Er hoffe, dass im Rahmen der Renault-Prozedur bei Massenentlassungen ein offener Dialog zwischen ING und Gewerkschaften entstehe. Michel hatte am Vormittag mit der ING-Direktion gesprochen.
Wirtschaftsminister Kris Peeters will, dass die Finanzhäuser einen Fonds speisen, der Bankangestellten, die der Digitalisierung zum Opfer fallen, unter die Arme greift. Die Grünen rufen ihrerseits dazu auf, dass der Staat alle Beihilfen und Fördergelder zurückfordert, die in den vergangenen Jahren an ING geflossen sind. Wer so eiskalt Menschen auf die Straße setze, müsse alle Konsequenzen tragen, sagte Grünen-Sprecher Kristof Calvo.
Am Amtssitz von Premier Michel findet zur Zeit ein Sondertreffen statt. Neben den Ministerpräsidenten der Regionen sind auch Vertreter der großen Gewerkschaften anwesend. Gemeinsam beraten sie über das weitere Vorgehen
Streik ausgerufen
Die Arbeitnehmervertreter haben die gut 8.500 Beschäftigten der Bank dazu aufgerufen, am Montag aus Protest die Arbeit ruhen zu lassen. Unklar ist, in welchem Ausmaß die Mitarbeiter dem Aufruf folgen. Für Freitag planen sie einen belgienweiten Streik bei ING und dem Tochterunternehmen Record-Bank.
vrt/rtbf/belga/akn/jp/okr - Bild: Laurie Dieffembacq/Belga