Ein chinesisches Unternehmen will in das Kapital des Verwalters der flämischen Stromnetze einsteigen. Die Geschichte entwickelt sich inzwischen fast schon zum "Agenten-Thriller". Die Zeitung De Standard bringt die Schlagzeile "Die Eandis-Bombe ist scharfgemacht". Hier muss man wohl hinzufügen, dass da wohl ein ziemlich lang eingestellter Zeitzünder installiert war.
Aber von vorn: Eandis verwaltet das Stromnetz der flämischen Gemeinden. Eandis und damit die Kommunen haben das gleiche Problem, wie überall in –man könnte sagen- ganz Europa: Finanziell bewegt sich das Ganze immer hart am Limit und alle Mehrkosten, die anfallen, muss man eigentlich gleich an den Verbraucher durchrechnen.
Doch dann gab es plötzlich einen Silberstreif am Horizont: State Grid, ein chinesisches Unternehmen zeigte Interesse an einer Beteiligung an Eandis. 14 Prozent wollen die Investoren aus Fernost übernehmen und dafür stattliche 800 Millionen Euro auf den Tisch legen. Klar, dass da bei so manchem Bürgermeister die sprichwörtlichen Dollarzeichen in den Augen zu blinken begannen.
Es wurde also ein Deal ausgehandelt, der jetzt unterschriftsreif ist. In diesen Tagen müssen die flämischen Gemeinden als Anteilseigner von Eandis entscheiden, ob sie die Ampel auf Grün setzen.
Enorme Einflussmöglichkeiten
Doch plötzlich gibt es ziemlich laute Unkenrufe. Den Anfang machte der VUB-Professor Jonathan Holslag vor einigen Tagen in der VRT. Und der ging gleich voll in die Vollen: "Der Deal ist erschreckend mies ausgehandelt worden", sagte Holslag, "die Chinesen übernehmen zwar nur 14 Prozent, bekommen dafür aber enorme und unverhältnismäßige Einflussmöglichkeiten, und das ausgerechnet in einem strategisch so wichtigen Bereich wie den Stromnetzen."
Der Einfluss, den könne man indirekt ausüben, führt der Experte aus: Die Chinesen haben nach 2024 das Recht, sich wieder aus Eandis zurückzuziehen. Dafür müsste man ihnen aber die Anteile wieder abkaufen, wobei man sich an den fünf Fingern abzählen könne, dass dafür kein Geld da sein werde. "Also muss man die Investoren friedlich stimmen, und das öffnet Tür und Tor für Erpressung."
Ist Börsengang eine Option?
Der eine oder andere scheint also nochmal über den Deal nachgedacht zu haben. Am Montag jedenfalls meldete sich kein geringerer als der flämische Energieminister Bart Tommelein zu Wort. Der nahm erst einmal keinen Bezug auf die Chinesen, sondern fasste es allgemeiner: Wenn Eandis Geld brauche, dann solle man einen Börsengang wagen.
Kaum hatte Tommelein das gesagt, da wurde er aber schon von seinem Ministerpräsidenten Geert Bourgeois zurückgepfiffen. Erstens hätten Aktionäre ihre eigene Agenda, seien eben profitorientiert, warnte Bourgeois. Aber ganz davon abgesehen: Die flämische Regierung sei gar nicht zuständig, hier verfügten die Gemeinden über eine ziemlich große Autonomie.
Geheimnisvoller Brief
Bart Tommelein wollte sich aber offensichtlich nicht damit abfinden und kartete nach. Fakt ist: plötzlich tauchte Montagabend ein geheimnisvoller Brief auf. Nach Medieninformationen war wohl das Kabinett Tommelein an der Basis des Presselecks. In diesem Brief warnt ein unbekannter Verfasser mit deutlichen Worten vor einer chinesischen Beteiligung am Eandis-Kapital. Das Unternehmen State Grid sei staatseigen, unterhalte beste Beziehungen zur kommunistischen Partei, zur Armee und sogar zu den Geheimdiensten der Volksrepublik. Es bestehe die Gefahr, dass Eandis-Technologie über diesen Weg beim chinesischen Militär lande.
Bart Tommelein stand in jedem Fall gleich parat, um den Brief brühwarm zu kommentieren: "Also, wenn man so etwas liest, dann kann man nicht so tun, als wäre nichts passiert, dann sollte man doch noch mal über den Deal nachdenken."
Wo kommt der Brief nun her? Nach Worten von Tommelein ist er bei mehreren flämischen Ministern auf den Schreibtisch geflattert. Und über den Verfasser gibt es laut Zeitungsberichten wenig Zweifel: Das Schreiben kommt wohl von der Sûreté, dem Inlandsgeheimdienst also.
Damit bekommt die Eandis-Geschichte jetzt natürlich eine neue Qualität... Der flämische Ministerpräsident Bourgeois war jedenfalls "not amused": "Ich habe keinen Brief bekommen und werde das Ganze auch nicht kommentieren."
Und spätestens jetzt steht eben auch wieder die Frage im Raum, die der VUB-Professor Holslag schon vor einigen Tagen aufgeworfen hatte. Belgien müsse lernen, die Kontrolle über seine strategischen Sektoren so lange wie möglich zu behalten.
rop/est- Foto: Jonas Roosens/BELGA