Bei dem derzeitigen Traumwetter könnte man ja fast schon vergessen, dass es - zwischenzeitlich - ein regelrechter Horrorsommer war. Es gab Momente, da jagte ein Gewaltakt den nächsten, verging quasi kein Tag ohne Eilmeldungen über neue Bluttaten. Ob sich nun im Einzelnen um Terrorakte oder um Amokläufe ging, das ändert in der Praxis eigentlich wenig. In beiden Fällen sind die Außenwirkung und auch die Herausforderung für die Sicherheitsbehörden quasi gleich.
"Ja, die Bedrohungslage hat sich verändert", sagte in der RTBF auch Frédéric Van Leeuw, der als Föderalprokurator alle Terrorismusakten auf den Tisch bekommt. Das komme aber nicht unerwartet, schließlich habe der IS noch im Mai ausdrücklich dazu aufgerufen, den angeblichen Dschihad nach Europa zu tragen. Und die Dschihadisten sollten sich dabei aller Mittel bedienen, die ihnen zur Verfügung stehen.
Genau das sei dann leider auch passiert. In Nizza, beim mit Abstand schlimmsten Vorfall, tötete ein Attentäter über 80 Menschen. Seine Waffe war ein Lastwagen. Und in Charleroi wurden zwei Polizistinnen mit einer Machete angegriffen und schwer verletzt.
Kein Netzwerk, sondern Einzeltäter
Und das mache die Arbeit der Anti-Terror-Behörden natürlich nicht leichter, sagt Föderalprokurator Van Leeuw. Wir haben es hier nicht mehr mit einem Netzwerk zu tun. Ein Netzwerk, das hinterlässt ja noch Spuren, etwa, wenn Autos oder Wohnungen angemietet werden. Jetzt sehen wir plötzlich Einzeltäter, die irgendwann plötzlich zur Tat schreiten.
Das funktioniere dann fast wie eine Art Franchise, in dem Sinne, dass IS sich dann im Anschluss zum dem Attentat bekenne, wobei oft nicht klar sei, ob es da überhaupt im Vorfeld Kontakte zwischen dem Täter und der Organisation gegeben habe. Hinzu kommt: Materielle Spuren finde man kaum noch: keine Waffen, kein Sprengstoff. Das besorgten sich die Terroristen erst kurz vor dem eigentlichen Anschlag.
Für die Sicherheitsbehörden bedeute dass also, dass im Moment weniger klassische Ermittlungsarbeit gefragt ist, sondern vor allem die Informationsbeschaffung im Vordergrund stehe, sagt der Föderalprokurator. Und hier sei vor allem auch von tragender Bedeutung, dass auf nationaler und internationaler Ebene möglichst effizient Daten ausgetauscht werden.
"Und eins kann ich ihnen sagen", unterstreicht Frédéric Van Leeuw in dem RTBF-Interview: Die Arbeit unserer Polizei- und Geheimdienste hat sich binnen kürzester Zeit drastisch verändert. Kein Vergleich mit der Situation vor zwei bis drei Jahren... Das habe man etwa auch noch in Charleroi gesehen, wo die Polizistinnen vorbildlich reagiert hätten.
Nachholbedarf auf Gesetzesebene
Klar: Perfekt ist nichts. Zwar hätten Regierung und Parlament auch schon eine Reihe von Gesetzesänderungen durchgesetzt, durch die die Arbeit der Sicherheitsbehörden verbessert werden konnte, sagt Van Leeuw. Aber es wäre z.B. auch sinnvoll, wenn man bei Terrorismusverdacht die Zeitspanne verlängern könnte, in der ein Verdächtiger in Gewahrsam genommen werden kann. 24 Stunden, das sei manchmal einfach zu wenig, sagt Frédéric Van Leeuw. Manchmal habe man zu schnell Haftbefehl erlassen, um eben kein Risiko einzugehen. Manchmal habe man Leute auch wieder laufen lassen müssen, weil man in der kurzen Zeit die Beweise nicht zusammenbekam. Also: Auch gesetzgeberisch gebe es wohl noch Nachholbedarf...
Aber, eins müsse er dann doch noch loswerfen, sagt Van Leeuw: Die Leute schauten immer auf die Polizei oder die Justiz. Dabei vergesse man, dass er z.B. in der Regel erst dann tätig werde, wenn's eigentlich schon zu spät ist. Die Gemeinden oder die Gemeinschaften hätten auch ihre Rolle zu spielen, etwa bei der Bekämpfung von Radikalisierung, etwa in Bezug auf die Wohnsituation in gewissen Vierteln, etwa bei der Begleitung von entlassenen Häftlingen. Heißt: auch die Politik habe da ihre Rolle zu spielen.
Eins müsse man aber sagen, meint der Föderalprokurator und lässt sich dabei zu einer persönlichen Einschätzung hinreißen: Eigentlich, so sagt er, eigentlich habe man in Belgien bis jetzt noch immer vergleichsweise besonnen reagiert. Das zeige, wie stark unsere Demokratie doch ist.
Roger Pint - Bild: Laurie Dieffembacq/BELGA