Es sind nur ein paar Worte, die mal wieder einen Streit um das Thema Dutroux ausgelöst haben. Wenn Julie und Melissa, die beiden Mädchen, die von Dutroux ermordet worden waren, wenn sie die Kinder reicher Leute gewesen wären, dann hätte man nach ihnen gesucht, sagte Raoul Hedebouw der französischen Zeitung "Le Monde".
Am Dienstag war der Artikel in der französischen Zeitung erschienen, am Donnerstag erklärte sich der PTB-Politiker in den Blättern der belgischen Sudpresse: "Man muss sich schon fragen, wie die Justiz mit Opfern umgeht. Und vor allem mit Opfern der unteren Gesellschaftsschichten."
Was er damit meint: Hätten Julie und Melissa reiche Eltern gehabt, dann hätten Polizei und Justiz andere Mittel eingesetzt und viel intensiver nach den Mädchen gesucht, als sie es getan haben. Im Radio wollte sich Hedebouw zu dieser Angelegenheit nicht äußern.
Gesprächiger zeigte sich der PTB-Vizepräsident David Pestieau. Er verteidigte die Äußerungen seines Parteikollegen. Tatsächlich habe man feststellen können, dass der Kontakt der Eltern mit der Justiz schlecht war, sagt Pestieau. Auch die Behandlung der Eltern seitens der Justiz.
Man könne beim Studium der Dutroux-Akten feststellen, dass vieles nicht ernst genommen worden sei und die Suche nach den vermissten Kindern nicht mit dem gleichen Eifer betrieben wurde, wie bei Kindern von Eltern, die mehr Geld besaßen.
Fall Anthony De Clerck
Mehr Geld als die Eltern der Dutroux-Opfer hatte auf jeden Fall der Textilmillionär Jan De Clerck, Vater von Anthony De Clerck. Am 4. Februar 1992 war der damals elfjährige Anthony entführt worden, und gut einen Monat später gegen die Zahlung eines Lösegelds wieder freigekommen.
Der Vater von Melissa, Gino Russo, hatte vier Jahre später und noch vor der Festnahme von Dutroux diesen Fall als Beispiel angegeben, wie die Justiz doch unterschiedlich auf das Verschwinden von Kindern reagiert.
Als kompletten Unfug hingegen bezeichnet der Generalstaatsanwalt von Lüttich, Christian De Valkeneer, solch ein Denken. Er wolle die Äußerungen von Hedebouw nicht unbedingt als Beleidigung der Justiz werten. Aber zu behaupten, dass das Leben eines Kindes bei der Justiz unterschiedlich viel zähle, und die Justiz abhängig davon, aus welcher Gesellschaftsschicht ein Kind käme, mit mehr oder weniger Eifer und Mitteln an der Sache arbeite, sei eine absolut absurde Vorstellung.
Auch in sozialen Netzwerken ist die Empörung über die Äußerungen von Hedebouw groß. Politiker andere Parteien distanzieren sich ebenfalls vom PTB-Abgeordneten, die Zeitung "La libre Belgique" wertet sie in ihrer heutigen Ausgabe als "gefährlichen Populismus".
Trotzdem scheinen sie Ausdruck eines Unbehagens zu sein. Nicht nur Hedebouw und seine Parteikollegen hegen nämlich die Vorstellung, dass die Justiz nicht alle Gesellschaftsschichten gleich behandelt. Vor zwei Jahren veröffentliche der belgische Hohe Justizrat die Ergebnisse einer Befragung, in der es um das Vertrauen der Bürger in die Justiz ging. 48 Prozent der Belgier gaben damals an, dass sie die Auffassung vertreten, dass Richter nicht alle Bürger gleich behandeln würden.
Das Thema scheint also Stoff für Diskussionen zu bieten. Ob der Zeitpunkt gut gewählt ist, eine solche wohl nötige Debatte mit Bezug auf Dutroux kurz vor dem 20. Jahrestag seiner Festnahme loszutreten, darüber lässt sich streiten.
Kay Wagner - Bild: Virginie Lefour/Belga