"Schluss jetzt, meine Herren", titelt La Dernière Heure. Aber: "Die Wallonen denken nicht ans Aufhören", schreibt Het Laatste Nieuws auf Seite eins.
Die Fronten verhärten sich weiter. Auf der einen Seite sind die Gewerkschaften, insbesondere die sozialistische CGSP, entschlossener denn je. Auf der anderen Seite "gibt Charles Michel nicht nach und setzt seinen Reformkurs fort", wie Het Belang van Limburg auf seiner Titelseite hervorhebt.
Die CGSP hat die Order ausgegeben, die Protestaktionen so lange fortzusetzen, bis die Regierung gestürzt ist. Und in Mons haben das Gewerkschafter auf ihre Art zum Ausdruck gebracht: Auf dem zentralen Platz hatten sie einen Galgen aufgebaut; und dort wurde Premierminister Charles Michel symbolisch gehängt. "Empörung über den aufgeknöpften Premier", schreibt denn auch Het Nieuwsblad. Die Zeitung zitiert Charles Michel mit den Worten: "Hoffentlich hat mein 11-jähriger Sohn diese Bilder nicht gesehen".
Verhärtete Fronten
Die Regierung gibt sich ihrerseits unbeeindruckt. Premier Michel reagierte gestern per Kommuniqué auf die anhaltenden Proteste, und dies mit einem unmissverständlichen Aufruf: "An die Arbeit!", mahnt der Premier.
"Und plötzlich reden wir wieder über den Minimaldienst", notiert Le Soir auf Seite eins. Mitten im Streik ist die Debatte über einen Minimaldienst insbesondere bei der SNCB und in den Gefängnissen wieder angestoßen worden. Gestern hatte eine Arbeitsgruppe eine Reihe von Szenarien präsentiert, wie eine solche Minimaldienstleistung bei der Bahn organisiert werden könnte.
Apropos SNCB: L'Avenir zeigt heute auf Seite eins einen verlassenen Bahnsteig, versehen mit der Schlagzeile: "Bis Freitag wird hier nichts passieren". Insbesondere die CGSP hat ja bis Ende der Woche ihren Streik verlängert. Die ACOD, also der flämische Flügel, hat derweil ihre Streikankündigung zurückgezogen. Über die Hintergründe sind sich die Zeitungen nicht einig. "Zu wenig Streikwillige für den Streik", schreibt etwa Het Nieuwsblad. De Morgen und Het Laatste Nieuws sind sich derweil sicher: "Es sind die drohenden Geldbußen, die den Bahnstreik gebrochen haben".
Tiefpunkt
Einige Zeitungen gehen auch heute wieder mit den Gewerkschaften hart ins Gericht. Mit der inszenierten Hinrichtung von Premierminister Charles Michel wurde der vorläufige Tiefpunkt erreicht, wettert etwa Het Laatste Nieuws in einem wütenden Leitartikel. Bei einigen wallonischen Gewerkschaftsverantwortlichen gibt es nur eine Diagnose: Zu viel Testosteron, zu wenig Hirn. Wie soll ein aufgeknöpfter Premier solche Leute ernst nehmen?
Die Gewerkschaften fahren mit vollem Tempo gegen die Wand, warnt L'Écho. Das gilt insbesondere für die CGSP. Ihr Plan, die Regierung zu stürzen, wird nicht aufgehen. Stattdessen schürt man damit nur die ohnehin um sich greifende Abneigung gegen die Gewerkschaften und bekommt frei Haus am Ende auch noch einen Minimaldienst und vielleicht sogar eine Beschneidung des Streikrechts. Es ist höchste Zeit, dass die Gewerkschaften wieder Ordnung in ihre Reihen bringen.
Aussichtsloser Streik
Auch La Libre Belgique warnt die Gewerkschaften im Übrigen schon auf Seite eins vor einer aussichtslosen Schlacht: "Nie hat ein Streik eine Regierung zum Einlenken gebracht", schreibt das Blatt. Das zumindest lehrt die junge Vergangenheit. 1960-1961, bei der "Grande Grève", ist die Regierung am Ende zwar tatsächlich gestürzt, das Sparpaket, gegen das die Gewerkschaften seinerzeit angerannt sind, wurde aber trotzdem verabschiedet.
Wem oder was nützt dieser Streik?, fragt sich das Blatt in seinem Kommentar. Das Einzige, was man im Moment beobachten kann, sind zunehmend gespaltene Gewerkschaften und im Gegensatz dazu eine Regierung, die die Reihen geschlossen hat.
De Standaard stellt dieselbe Diagnose. Selbst die Gewerkschaftsführer, abgesehen von den Hitzköpfen, sind sich darüber im Klaren, dass ein unbefristeter Streik ohne klare Zielsetzung unweigerlich in die Niederlage führt. Und weil die extremen Kräfte so laut krakeelen hört man die Gemäßigten nicht mehr, fügt L'Avenir hinzu. Die Mitte liegt in Trümmern.
"Auch die Regierung muss sich beugen"
Viele Leitartikler beginnen aber auch, an der anhaltenden Protestwelle fast schon zu verzweifeln. Belgien steht inzwischen am Rande des Nervenzusammenbruchs, glaubt etwa Le Soir. Beide Seiten haben sich in ihren Stellungen eingegraben, schlimmer noch: Alle Beteiligten sind gespaltener und radikalisierter denn je. Und je länger das Ganze dauert, desto schwieriger wird es für beide Seiten, erhobenen Hauptes aus dieser Geschichte herauszukommen. Jetzt ist es an der Zeit, für Premierminister Michel – auch in seiner Eigenschaft als einziger frankophoner Ansprechpartner in dieser Regierung – eine Vermittlerrolle einzunehmen.
Het Nieuwsblad sieht das ähnlich. Wenn beide Seiten sich einmauern, dann verliert man den Blick fürs Wesentliche. Beispiel: Nur weil eine Minderheit von frankophonen Gewerkschaftern mit revolutionären Fantasien flirtet, vergisst man schnell die eigentliche Kernbotschaft, nämlich: Den nachvollziehbaren Eindruck, dass die Sparmaßnahmen der Regierung ungerecht sind. Statt zusätzlich Öl ins Feuer zu gießen, sollte die Regierung endlich Einsicht zeigen und etwa eine Steuer auf Kapitalerträge erheben. Und das muss mehr sein, als ein symbolisches Feigenblatt.
Auch De Morgen fordert eine Geste der Regierung, es reicht einfach nicht, stur zu wiederholen, dass es für die Politik der Koalition "keine Alternative" gibt. Denn es gibt sie. Man kann die Lasten fairer verteilen; und auch die Politik könnte einmal mit guten Beispielen vorangehen, etwa indem man die außergewöhnlich großzügige Pensionsregelung für Parlamentarier abschafft oder die Ministerkabinette auf Diät setzt. Nur so kann man das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnen.
Roger Pint - Bild: Nicolas Maeterlinck/BELGA