"Die Eskalation", titelt Le Soir. "Kontrolle komplett verloren", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws. "Wer kann das noch stoppen?", fragt sich De Morgen auf Seite eins.
Insbesondere die sozialistischen Gewerkschaften haben offenbar einen Gang höher geschaltet. So wie es im Moment aussieht, werden die Gefängniswärter wohl ihren seit einem Monat andauernden Streik fortsetzen. Auch bei der Nationalen Eisenbahngesellschaft SNCB wird der Ausstand bis auf Weiteres fortgesetzt. Für den kommenden Dienstag war ja ohnehin schon eine Protestaktion bei der Bahn angekündigt. Die sozialistische Gewerkschaft CGSP will diesen Streik aber jetzt auf den gesamten Öffentlichen Dienst ausweiten - und das ebenfalls unbefristet.
"Rien ne va plus", konstatiert unter anderem Het Laatste Nieuws und verbindet das mit der bangen Frage: "Gibt es noch jemanden, der die Streikenden zur Vernunft bringen kann?" Die Gewerkschafter hören nicht mehr auf ihre Verantwortlichen. "Die Gewerkschaftsspitze läuft der Basis hinterher", notiert auch De Standaard.
Offensichtlich ist dabei, dass es vor allem die Frankophonen sind, die ins Streik-Horn blasen. Besonders sichtbar ist das bei der sozialistischen Gewerkschaft CGSP, wo sich der flämische Flügel von der Rhetorik der frankophonen Kollegen klar distanzierte.
"Die spinnen, die Wallonen!"
"Die Streiks spalten die Gewerkschaften", stellen denn auch De Standaard und Het Nieuwsblad auf Seite eins fest. "Die Streiks offenbaren die Kluft zwischen dem Norden und dem Süden", schreibt auch La Libre Belgique.
"Tous ensemble? Non merci!", meint – auf Französisch – das flämische Massenblatt Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel. Alle zusammen? Nicht mit uns! Die flämischen Gewerkschafter schauen auf ihre frankophonen Kollegen, wie Asterix die Römer betrachtet: Die spinnen, die Wallonen!
"Ist die Wallonie wirklich ein Streikistan?", fragt sich denn auch sinngemäß L'Avenir auf Seite eins. Die Antwort im Leitartikel: Die gängigen Klischees werden in jedem Fall bestätigt. Jetzt erst recht gehen die Wallonen wieder als "streikfreudige, faule Profiteure" durch. Insbesondere im Norden des Landes ist es für viele schwer zu glauben, dass diese Wallonie sich wirklich aufrichten kann, beziehungsweise will.
Diese Streikwelle ist in mehrfacher Hinsicht schädlich, meint auch Le Soir. Nicht nur, dass die Gewerkschaften den Rückhalt in der Bevölkerung verlieren; das Festival der Proteste gefährdet auch den Zusammenhalt des Landes. Es sind ausgerechnet die sozialistischen Gewerkschaften, die die Gemeinschaftspolitik de facto wieder aufs Tapet bringen. Die N-VA wird sich jedenfalls nicht lange bitten lassen und dürfte 2019 insbesondere für eine Aufspaltung der SNCB die Trommel rühren.
"Vielen Dank, liebe Gewerkschafter!", ätzt denn auch La Libre Belgique. Vielen Dank, dass Ihr das Bild eines gespaltenen Landes weiter unterhaltet. Vielen Dank, dass ihr Bart De Wever in seinen separatistischen Thesen bestätigt. Vielen Dank, dass Ihr uns allen in den Fuß schießt.
CGSP will Sturz der Föderalregierung
Einige Leitartikler sehen aber auch noch eine andere Gefahr, nämlich: die kompromisslose Schärfe der einzelnen Konflikte. Ein Streik, der nur einen Tag dauert, das ist offensichtlich nur noch etwas für "Weicheier", konstatiert etwa Het Nieuwsblad. Bislang beruhte die Macht der Gewerkschaften jedenfalls nicht darauf, unbefristete Abnutzungsschlachten zu streiten, sondern vielmehr auf ihrem Sinn für Verhältnismäßigkeit. Davon ist aber leider im Moment nichts zu sehen.
L'Echo schlägt in dieselbe Kerbe. Die frankophone CGSP forderte jetzt sogar den Kopf des Premiers. Ihr Generalsekretär hat ausdrücklich die Losung ausgegeben, diese Regierung zu stürzen. Das ist historisch. Das hat eine Gewerkschaft noch nie gewagt. Frage an die CGSP: Wie stellt man sich den Dialog mit einem Gesprächspartner vor, dessen Tod man herbeiführen will? Das war dann definitiv der Satz zu viel.
De Standaard stellt denn auch eine beängstigende Diagnose: Hier droht eine regelrechte Systemkrise. Im frankophonen Landesteil kommen mindestens zwei Elemente zusammen: Die Föderalregierung hat in der Wallonie keine Mehrheit; parallel dazu hat die linksextreme PTB weite Teile der sozialistischen Gewerkschaften unterwandert. Resultat: eine spürbare Radikalisierung, die bis hin zu einem Gefühl der Anti-Politik führt. Da werden Streiks dann plötzlich zum Heldenepos. Und angesichts der wilden wallonischen Revolutionsfantasien bekommen die verdatterten Flamen den Mund nicht mehr zu.
"Die Germanen proben den Aufstand"
Auch La Dernière Heure berichtet schließlich über einen drohenden gemeinschaftspolitischen Clash. In einer der Hauptrollen ist diesmal aber kein Geringerer als die DG, genauer gesagt die Deutschsprachigen insgesamt. Im Mittelpunkt stehen die Provinzialwahlen 2018. Die Wallonische Region will eine Rückkehr zur Papierwahl; in der DG hält man derweil an den Wahlcomputern fest. Vor diesem Hintergrund hatte der Sankt-Vither Bürgermeister Christian Krings schon zu einem Boykott der Provinzialwahlen aufgerufen. "Die Germanen proben den Aufstand", so formuliert es sinngemäß La Dernière Heure. Die politischen Verantwortlichen der Provinz Lüttich sind jetzt um eine Schlichtung bemüht und, so schreibt das Blatt, die Erfolgsaussichten sind nicht schlecht.
RoP - Foto: Eric Lalmand (belga)