"60.000 Demonstranten protestieren gegen die Mitte-Rechts-Regierung", titeln Gazet van Antwerpen und das GrenzEcho. "60.000 friedliche Kundgebungsteilnehmer und doch artete die Demo aus", schreibt Het Belang van Limburg auf Seite eins.
Eben diese zwei Facetten der gestrigen Großkundgebung der Gewerkschaften gegen die Politik der Regierung werden heute von vielen Zeitungen hervorgehoben. Auf vielen Titelseiten sieht man zunächst das Foto des Polizeikommissars Pierre Vandersmissen, der blutüberströmt am Boden liegt. Vandersmissen ist quasi traditionell der befehlshabende Offizier der Brüsseler Ordnungskräfte bei Kundgebungen. "Immer in der ersten Reihe, immer ohne Helm", so beschreibt ihn Het Laatste Nieuws.
Weil er der erste Ansprechpartner ist, etwa für die Organisatoren einer Kundgebung, tritt Vandersmissen tatsächlich immer ohne Schutzkleidung auf. Gestern wurde er von einem Unruhestifter niedergeschlagen und schwer am Kopf verletzt. "Wer spricht jetzt noch über die Demo?", beklagt Het Nieuwsblad auf Seite eins. Insbesondere dieser Vorfall hat jedenfalls die Veranstaltung überschattet. "Dabei waren es nur rund 30 Chaoten", bemerkt L'Avenir. "60.000 brave Demonstranten, 40 Idioten", so resümiert es auch Het Laatste Nieuws.
Abnutzungskrieg
Wer die Demo darauf reduzieren will, der greift aber zu kurz, meint De Morgen in seinem Leitartikel. 60.000 Teilnehmer, das ist ein bemerkenswerter Erfolg. Die Gewerkschaften, die so mancher schon auf dem absteigenden Ast wähnte, haben sich eindrucksvoll zurückgemeldet. Die Regierung wäre gut beraten, das Signal zur Kenntnis zu nehmen.
Andere Zeitungen ziehen da eine durchaus nuanciertere Bilanz. "Die Mobilisierung wird schwächer", bemerkt etwa Le Soir auf Seite eins. Die Zeitung kann nur feststellen, dass die Gewerkschaften noch vor anderthalb Jahren rund doppelt so viele Demonstranten auf die Straße gebracht hatten.
Wir sehen hier einen Abnutzungskrieg, in dem es keinen Sieger gibt, meint die Brüsseler Zeitung in ihrem Leitartikel. Auf der einen Seite die Regierung, die die Forderungen der Gewerkschaften systematisch ignoriert und sie stattdessen ein ums andere Mal provoziert. Auf der anderen Seite die Arbeitnehmervertretungen, die sich in ihrem ideologischen Schützengraben verschanzt haben und nicht den Eindruck vermitteln, dass sie die Herausforderungen der heutigen Zeit annehmen wollen. Es wird Zeit, dass einer aus dieser Logik ausbricht und einen wirklichen Dialog wieder in Gang bringt.
Für L'Echo muss sich hingegen in erster Linie die Regierung bewegen. Die Gewerkschaften haben offensichtlich aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Das gleiche kann man von der Koalition nicht behaupten. Wenn sie auch das Gegenteil behauptet, so hat diese Regierung den Sozialen Dialog doch systematisch ausgehebelt. Michel und Co. müssen endlich beweisen, dass sie die Regierung aller Belgier sind.
"Mehr Gerechtigkeit!"
"Die Botschaft der Demonstranten lautet: Mehr Gerechtigkeit!", so fasst es sinngemäß Het Laatste Nieuws zusammen. Zu viele Menschen haben den Eindruck, dass die Last ungleich verteilt ist, dass im Wesentlichen nur der kleine Mann bluten muss." Und Kris Peeters ist der Sündenbock", fügt De Standaard auf Seite eins hinzu. Der gestrige Protest richtete sich insbesondere gegen die Pläne des CD&V-Vizepremiers zur Aufweichung der 38 Stunden-Woche.
Dieses Projekt kann für die CD&V richtig gefährlich werden, warnt De Standaard in seinem Leitartikel. Bekommt Peeters einmal den Stempel "Totengräber der 38 Stunden-Woche" verpasst, dann ist sein Image so beschädigt wie das von Annemie Turtelboom, nach der ja eine umstrittene Steuer benannt wurde. Frau Turtelboom ist inzwischen weg vom Fenster.
Kris Peeters jedenfalls ist als "soziales Gewissen" dieser Regierung bald nicht mehr glaubwürdig. Und die CD&V steckt in der Krise.
Het Nieuwsblad stellt dieselbe Diagnose: Die CD&V steht mit dem Rücken zur Wand. Intern rumort es. Der Gewerkschaftsflügel probt den Aufstand. Wenn Peeters seine derzeitige Politik lediglich "besser erklären" will, dann wird das nicht reichen. Vielmehr muss besagte Politik gerechter werden.
Das scheinen die flämischen Christdemokraten aber verstanden zu haben: "Die Reichensteuer liegt wieder auf dem Tisch", notiert jedenfalls Het Laatste Nieuws auf Seite eins. Demnach will die CD&V einen neuen Vorstoß unternehmen, um dafür zu sorgen, dass sich auch die Vermögenden mehr als bisher an den Anstrengungen beteiligen. Und diesmal scheint auch der Koalitionspartner N-VA zumindest bereit zu sein, darüber zu reden.
Auch noch in einen anderen Bereich scheint inzwischen Bewegung zu kommen: "Firmenwagen: ein Tabu ist im Begriff zu fallen", schreibt Le Soir. Finanzminister Van Overtveldt ist demnach anscheinend bereit, die bisherige Praxis zu überdenken. In quasi keinem anderen Land der Welt werden Firmenwagen vom Staat so gefördert wie in Belgien.
Nachträgliches Olympia-Gold für Belgien?
Eine ebenso gute wie erstaunliche Meldung schließlich aus der Welt der Leichtathletik: "Gibt es doch noch Gold für Kim und Co.?", fragt sich unter anderem hoffnungsvoll Gazet van Antwerpen. Bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking hatte die 4x100 Meter-Staffel der Damen um Sprintstar Kim Gevaert die Silbermedaille gewonnen.
Ein Mitglied des russischen Siegerteams wurde jetzt aber nachträglich positiv auf Doping getestet. Bleibt es dabei, so schreibt Het Laatste Nieuws, dann wird "acht Jahre nach Peking aus dem belgischen Silber Gold".
rop - Bild: Eric Lalmand (belga)