"Österreich schrammt haarscharf an der Katastrophe vorbei", titelt La Libre Belgique. "Sohn einer Flüchtlingsfamilie wird neuer österreichischer Bundespräsident", bemerkt De Standaard. "Die Österreicher wählen lieber grün als rechtsextrem", hält Le Soir fest.
Der Wahlkrimi in Österreich ist am Montag mit dem hauchdünnen Sieg des grünen Kandidaten Alexander Van der Bellen zu Ende gegangen. Mit 50,3 Prozent der Stimmen setzte er sich ganz knapp gegen den Rechtspopulisten Norbert Hofer von der FPÖ durch. L'Echo atmet auf: Österreich hat sich für die Vernunft entschieden. Mit seiner offenen und hoffnungsvollen Haltung hat der Sohn einer estnischen Flüchtlingsfamilie der Panikmache und Negativkampagne der FPÖ die Stirn geboten.
Ganz anders sieht es Het Nieuwsblad: Den hauchdünnen Vorsprung Van der Bellens von knapp 31.000 Stimmen kann man nicht Erfolg nennen. Der Vormarsch rechter Kräfte ist aber kein rein österreichisches Phänomen, sondern in ganz Europa zu beobachten. In Wien ist die Geschichte gerade noch mal gut ausgegangen, die Wahlen in Frankreich werfen aber schon ihre Schatten voraus. Laut Prognosen könnten es der rechtsextreme Front National und seine Spitzenkandidatin Marine Le Pen tatsächlich an die Macht schaffen. Bei der Bundestagswahl 2017 in Deutschland könnte die AfD ebenfalls deutlich zulegen. Und in Flandern ist der rechtsextreme Vlaams Belang laut jüngsten Umfragen drittstärkste Kraft.
Gesellschaft gespaltener denn je – nicht nur in Österreich
Le Soir bemerkt: Österreich ist kein Land, dem es schlecht geht. Trotzdem hat jeder Zweite den rechten Kandidaten gewählt. Grund ist die Flüchtlingskrise, in der die traditionellen Parteien in der Alpenrepublik versagt haben. Dazu die europäische Unfähigkeit, sich auf eine gemeinsame Lösung zu verständigen. Die Folge: Die Gesellschaft ist gespaltener denn je. Flüchtlinge, Globalisierung und ein riesiger europäischer Markt überfordern viele Bürger, die nach Orientierung und Halt suchen, analysiert La Libre Belgique.
Aufgrund von Wirtschaftskrise, Terror und notwendigen Reformen der Sozialsysteme haben sich die traditionellen Parteien in ihrer Politik so sehr aneinander angeglichen, dass man Sozialisten, Christdemokraten und Liberale kaum noch voneinander unterscheiden kann. Die rechtsextremen Parteien haben es geschafft, sich mit ihren vermeintlich "einfachen Lösungen" in unserer komplexen Welt als Alternative zum etablierten System zu verkaufen. Wenn die alten Volksparteien in Europa nicht gegensteuern, dann wird es bald ein anderer Norbert Hofer an die Spitze schaffen.
Het Laatste Nieuws nutzt die Gelegenheit für einen Seitenhieb und witzelt: Glücklicherweise können wir jetzt also weiter ruhigen Gewissens in Österreich Skifahren gehen – und das mit dem Segen der Familie Michel. 1999 nach dem Wahlerfolg von Jörg Haider hatte der damalige Außenminister Louis Michel zum Österreich-Boykott aufgerufen.
Großer Test für die Gewerkschaften
De Morgen blickt auf die heutige Großdemo der Gewerkschaften in Brüssel gegen die Politik der Föderalregierung. Protestiert wird gegen die Reformagenda, unter anderem gegen die Erhöhung des Rentenalters, die Lockerung der 38 Stunden-Woche und die Sparmaßnahmen im öffentlichen Dienst. Die Gewerkschaften rechnen mit 50.000 Teilnehmern. L'Avenir findet: Die Demo wird zum großen Test, zum Gradmesser für das noch vorhandene Protestpotential der Belgier. Sollten es die Arbeitnehmervertretungen nicht schaffen, einige Zehntausend Menschen auf die Straßen zu bringen, dann verheißt das nichts Gutes für die noch anstehenden Aktionen. Sollten sie hingegen viele ihrer Mitglieder mobilisieren können, dann wird sich die Mitte-Rechts-Koalition warm anziehen müssen, prophezeit das Blatt.
Gazet van Antwerpen kann den Protest der Bürger zwar nachvollziehen, fragt sich aber, ob Demos und Streiks noch zeitgemäß sind. Haben die Gewerkschaften keine anderen Mittel? Sollten sie nicht besser konkrete Alternativen vorschlagen? Beispiel Erhöhung des Rentenalters. Jeder weiß inzwischen, dass wir länger leben und deshalb länger arbeiten müssen, um unsere Sozialsysteme langfristig zu sichern. Statt die notwendigen Reformen von vornherein zu verteufeln, sollten die Gewerkschaften lieber den Übergang mitgestalten. Mehr denn je braucht das Land einen konstruktiven sozialen Dialog. Das ist nicht nur die Verantwortung der Regierung, sondern auch der Gewerkschaften, meint Gazet van Antwerpen.
Wegen Gefängnisstreiks aus U-Haft entlassen
Mitdemonstrieren werden heute auch die streikenden Gefängniswärter. Wegen des inzwischen seit vier Wochen andauernden Arbeitsausstands in den wallonischen und Brüsseler Gefängnissen hat ein Untersuchungsrichter in der Hauptstadt jetzt zehn Verdächtige aus der U-Haft entlassen, darunter einen Drogendealer, wie Het Laatste Nieuws meldet. Die Zustände in der Haftanstalt von Forest seien unzumutbar.
akn - Bild: Roland Schlager (APA)