"Streik artet aus", titelt La Libre Belgique. "Gefängniswärter sägen an dem Ast, auf dem sie sitzen", schreibt Het Laatste Nieuws. "Es wird Zeit, dass der Rechtsstaat wieder zu seinem Recht kommt", bemerkt De Morgen auf Seite eins.
Eine Protestaktion wütender Gefängniswärter ist am Dienstag völlig aus dem Ruder gelaufen. Einige der Streikenden verschafften sich gewaltsam Zugang zum Justizministerium und schlugen im Eingangsbereich alles kurz und klein. Ihre Spur der Verwüstung ist auf vielen Zeitungsfotos zu sehen: zerbrochenes Glas von Fenstern und Türen, zerstörtes Mobiliar, zertrümmerte Computer und Kopierer, die aus den Fenstern geworfen wurden.
In Het Nieuwsblad fordern die Regierungsparteien N-VA und OpenVLD, dass die Randalierer zur Rechenschaft gezogen und entlassen werden. "Wer so etwas macht, hat im Staatsdienst nichts verloren", so ein Sprecher der Liberalen.
Gazet van Antwerpen kann den Gewaltexzess und den Streik, der inzwischen in die vierte Woche gegangen ist, überhaupt nicht nachvollziehen. Auf den Vorschlag von Justizminister Koen Geens, neue Haftanstalten zu bauen und 400 zusätzliche Wärter einzustellen, pfeifen die Streikenden. Die Gefangenen lassen sie derweil in ihren Zellen verrotten. Viele sind noch nicht einmal bereit, Lohneinbußen zu riskieren und lassen sich krankschreiben, während überlastete Polizisten und Soldaten für sie einspringen müssen.
Wer die Tür eintritt, statt zu klingeln, diskreditiert sich selbst
La Libre Belgique hält das brutale Vorgehen der Gefängniswärter für abstoßend und unentschuldbar. Het Nieuwsblad meint: Gewalt ist immer kontraproduktiv. Der besonnene Schlichter Koen Geens hat die volle Ladung abbekommen. Damit haben die Gewerkschaften wieder viele Sympathien verspielt. Jetzt wird der Minister erst recht nicht mehr auf die weitgehenden Forderungen der Wärter eingehen.
Für Het Laatste Nieuws sind die Krawallmacher in den Reihen der Gewerkschaften schlicht und ergreifend Hooligans. Wer gleich die Tür eintritt, anstatt erst einmal zu klingeln, den kann man als Verhandlungspartner nicht ernstnehmen, so die Zeitung.
De Morgen warnt vor einem gefährlichen Spiel: Zur allgemeinen Verwunderung sind es vor allem französischsprachige Gewerkschafter und Politiker, die jetzt die gemeinschaftspolitische Karte ziehen. Die Geschwindigkeit, mit der PS-Präsident Elio Di Rupo sich auf die Seite der Streikenden geschlagen hat, ist verblüffend. Solidarität in allen Ehren, aber wie solidarisch war der Bürgermeister von Mons, als die Modernisierung der dortigen Haftanstalt gefordert wurde? Damals war die PS an der Macht und hat nichts unternommen. Am schlechten Zustand der belgischen Gefängnisse sind alle Parteien schuld.
Gazet van Antwerpen fügt hinzu: Durch ihr unverantwortliches Verhalten tragen die wallonischen Gewerkschaften zum Auseinanderbrechen des Landes bei – und zwar wirkungsvoller als jegliche N-VA-Strategie.
Viele Zeitungen, darunter De Morgen und La Libre Belgique, fordern, dass der Gefängniswärterstreik zur Chefsache wird und Premierminister Charles Michel sich endlich persönlich der Angelegenheit annimmt.
Unternehmer fordern "Neustart" für Belgien
In De Standaard und Le Soir rufen drei Unternehmensleiter zu einem "Neustart" für Belgien auf. Angesichts der vielen Probleme brauche es einen Gesamtplan, um dem Staat neues Leben einzuhauchen. Den offenen Brief haben Ex-Postchef Johnny Thijs, Sonaca-Direktor Bernard Delvaux und UCL-Uniklinik-Leiter Baudouin Meunier unterzeichnet. Alle Ebenen müssten an einem Strang ziehen und Premierminister Michel die Rolle des Firmenchefs der "AG Belgien" übernehmen. Nur so seien die großen Herausforderungen wie Sicherheit, Verkehr und Energiewende zu meistern.
Le Soir kann den drei Wirtschaftsbossen nur zustimmen. Der Karren muss endlich aus dem Dreck gezogen werden - und das geht nur gemeinsam. Auf politischer Ebene herrscht zu diesem Thema allerdings Funkstille. Minister und Abgeordnete weigern sich, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Dabei wäre es jetzt viel wichtiger, langfristig zu denken - über den nächsten Wahltag hinaus.
Auch De Standaard hält fest: Die jahrzehntelange Nabelschau von Flamen und Wallonen hat zu einer unsinnigen Zerstückelung von Zuständigkeiten geführt. Das Problem: Jede Ebene ist inzwischen für fast alles zuständig - aber niemand fühlt sich verantwortlich.
Glyphosat - krebserregend oder doch nicht?
L'Avenir befasst sich mit der Glyphosat-Debatte. Ab heute beraten Experten der EU-Kommission über die weitere Zulassung der äußerst umstrittenen Substanz. Das Unkrautvernichtungsmittel gilt als möglicherweise krebserregend, eine neue Studie der Weltgesundheitsorganisation kann dies aber nicht belegen.
Ein Kompromiss könnte so aussehen: Die Substanz wird für die Agrarindustrie weiter erlaubt, Privatleute dürfen sie aber nicht mehr einsetzen. Was für eine Farce, meint die Zeitung. Entweder Glyphosat ist unbedenklich oder eben nicht – und dann gehört es für alle aus dem Verkehr gezogen.
Alain Kniebs - Bild: Stefanie Van Ryssen/BELGA