"Gefängnisse: der Abnutzungsstreik", titelt Le Soir. "Neue Gefängnisse und doch gehen die Proteste weiter", notiert L'Avenir auf Seite eins.
Die Fronten sind nach wie vor verhärtet. Auch nach zweieinhalb Wochen Streik in den Brüsseler und wallonischen Haftanstalten sind sich die Gewerkschaften und der föderale Justizminister Koen Geens nicht näher gekommen. Dabei hatte die Regierung das Verhandlungsmandat des Justizministers noch einmal erweitert, Geens hatte also noch einmal neuen Spielraum bekommen. Außerdem verabschiedete die Koalition schneller als geplant einen neuen Masterplan für das Gefängniswesen. Der sieht unter anderem die Schaffung von knapp 1.500 neuen Zellen vor, sei es durch Renovierungsmaßnahmen, aber auch durch den Bau neuer Haftanstalten. Unter anderem soll auch das Gefängnis von Verviers wiederauferstehen.
"Wir sehen da keinen Zusammenhang mit unseren Forderungen und unserem Streik", sagen aber erboste Gefängniswärter unter anderem in Le Soir. Fakt ist, dass auch dieser Masterplan die Gewerkschaften nicht besänftigen konnte.
"Gefängnisse – Es geht um Menschen!"
Het Nieuwsblad kann die Skepsis verstehen. "Männer mit Plänen", die haben wir schon oft gesehen. Zugegeben: Der Masterplan des Justizministers ist ehrgeizig, und Koen Geens traut sich auch, ausgetretene Pfade zu verlassen, um nach kreativen Lösungen zu suchen. Jeder Plan ist aber erst einmal nur ein Stück Papier. Ihn umzusetzen, das setzt auch den entsprechenden Willen voraus - und vor allem muss man dafür Geld in die Hand nehmen. Das steht dann doch wieder auf einem anderen Blatt.
Das Gefängniswesen war in diesem Land nie eine Priorität, kann auch Gazet van Antwerpen nur feststellen. Auch ohne Streik herrschen in den belgischen Haftanstalten zum Teil erbärmliche Zustände, und das schon seit vielen Jahren. Der Punkt: Jeder Politiker weiß, dass mit Investitionen in die Haftanstalten keine Wahl zu gewinnen ist. Das heißt aber nicht, dass man jetzt weiter zuschauen darf. Die Regierung muss durchgreifen, um die Lebensbedingungen der Häftlinge zumindest wieder auf ein erträgliches Niveau zurück zu bringen.
Das GrenzEcho schlägt in dieselbe Kerbe. Bei diesem Streik geht es nicht um wartende Reisende oder liegen gebliebene Post. Es geht um Menschen – ganz egal, wie schlimm ihre Straftat ist. Das müssen die politisch Verantwortlichen endlich begreifen.
La Libre Belgique hegt derweil Zweifel an der Glaubwürdigkeit der streikenden Gefängniswärter. Es gibt Informationen, wonach 70 Prozent von ihnen nicht wirklich in den Ausstand getreten, sondern vielmehr krank geschrieben sind. Dadurch vermeiden sie allzu große Verdienstausfälle. Wenn das stimmt, dann wirft das natürlich einen Schatten auf die Aktion. Das ändert aber nichts daran, dass dieser Streik endlich aufhören muss. Oder wollen die Gewerkschaften beziehungsweise die Regierung am Ende einen Toten auf den Gewissen haben?
Zuhause in einem "Failed State"
Einige Zeitungen stellen sich angesichts der anhaltenden Streiks und der maroden Infrastruktur auch heute wieder die Frage nach dem Zustand des Landes. "Belgien funktioniert nicht mehr! Wir brauchen ein neues Design!", schreibt Het Laatste Nieuws auf Seite eins. Und diese Forderung kommt von Johnny Thijs, dem früheren Chef von bpost. Thijs kann nur feststellen, dass im Moment ein Streik den nächsten jagt. "Man sollte die Macht der Gewerkschaften beschneiden", fordert Thijs. Und die Regierung sollte endlich richtige Reformen durchziehen, sie habe schon zwei Jahre verloren...
"Ist jemand noch glücklich in diesem Land?", fragt sich auch proaktiv De Standaard auf Seite eins. "In einer Krise zeigt ein Land, was es wert ist", meint das Blatt. Belgien habe sich allerdings nach den Anschlägen mehr denn je zersplittert gezeigt: Es gibt keinen großen sozialen Konsens mehr, vielmehr denke jeder nur noch an seine eigenen Interessen. Das Blatt bringt auch Interviews mit prominenten In- und Ausländern, die vor allem in Brüssel wohnen. Dies unter dem provokativem Titel: "Zuhause in einem 'Failed State'".
Auch L'Écho zeichnet in einem beißenden Kommentar ein düsteres Bild des Landes. Ein Land, in dessen Hauptstadt wichtige Straßentunnel bröckeln. Ein Land, in dem es in Museen reinregnet. Ein Land, in dem die Gefängnisse schlimmer aussehen als Viehställe. Ein Land, in dem die Leute schneller streiken als ihr Schatten, ohne Rücksicht auf Verluste. Ein Land, in dem brotnötige Reformen liegen bleiben. Ein solches Land mit seinen zahllosen Baustellen und verpassten Chancen kann eigentlich nicht existieren. Aber keine Sorge: Eine Goldene Palme in Cannes oder eine Fußball-WM, und all das ist schnell wieder vergessen.
Belgische F-16 bald auch über Syrien
"Belgische F-16 operieren ab Juli auch im syrischen Luftraum", so die Schlagzeile von Het Belang van Limburg. Die Regierung hat gestern das Mandat ausgeweitet. Bei ihrer ersten Mission gegen die Terrorgruppe IS wurden die belgischen Kampfjets nur im irakischen Luftraum eingesetzt, jetzt also, ab dem 1. Juli, auch über Syrien. "Die Attentate haben nichts verändert", hebt auch Le Soir hervor: Belgien beteiligt sich mehr denn je am Kampf gegen IS.
"Schlägt IS jetzt zurück?", so derweil die bange Frage auf Seite eins von De Morgen. Die Teilnahme an der Koalition gegen IS sei nicht ohne Risiko für das Land, meint die Zeitung. Nicht auszuschließen ist, dass sich die Terrorgruppe vor allem an denen rächt, die sie bekämpfen.
"Unsinn!", entgegnet aber Het Belang van Limburg in seinem Leitartikel. Wer glaubt denn alles Ernstes, dass die Terroristen auf diesen Beschluss gewartet hätten, um ihre Bomben zu platzieren. Belgien und insbesondere Brüssel waren immer schon ein potentielles Terrorziel. Wenn der belgische Beitrag auch bescheiden ist, so ist der Kampf gegen den IS richtig. Jeder muss zugeben, dass die Luftangriffe auf Nachschublinien, Öltransporte oder Banken den IS geschwächt haben, und damit verlieren die Dschihadisten Stück für Stück ihr "Vaterland".
L'Avenir sieht das ähnlich: Die Haltung der Kritiker an den Luftangriffen gegen IS ist scheinheilig. Oder wollen sie etwa die Iraker und Syrer ihrem Schicksal überlassen? Warum sollten diese Menschen den Terror ertragen müssen, den wir in unseren Ländern mit allen Mitteln bekämpfen.
De Standaard warnt seinerseits doch vor den möglichen Folgen des Kampfeinsatzes in Irak und in Syrien. Es fehlt schlicht und einfach ein Plan, eine langfristige Strategie. Die jüngere Geschichte hat es doch gezeigt: Nach den Interventionen des Westens im Irak und später auch in Libyen ist das Chaos nur noch größer geworden. Führungsqualität definiert sich nicht allein darüber, dass man einen Bombardierungsbefehl erteilt. Man sollte auch schon wissen, was auf die Bomben folgen soll.
Go, Laura!
Viele Zeitungen schließlich freuen sich schon auf heute Abend, genauer gesagt auf den Auftritt von Laura Tesoro beim Eurovision Song Contest. Die 19-Jährige muss als erste auf die Bühne. "Zeig's ihnen!", schreibt Gazet van Antwerpen. De Morgen stellt fest: "Das ganze Land steht hinter Laura".
Roger Pint - Foto: Dirk Waem/BELGA