"Die Sackgasse", titelt Le Soir. "Das Chaos im Justizwesen ist komplett", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad.
Der Streik der Gefängniswärter in den wallonischen und Brüsseler Haftanstalten geht in seine dritte Woche. Die Mitarbeiter lehnten einen Kompromissvorschlag von Justizminister Koen Geens quasi geschlossen ab. Zunächst hatte die Polizei die Bewachung der Gefängnisse übernommen, doch ist man dort auch inzwischen überfordert. Deswegen wird seit Montag auch die Armee in drei Haftanstalten eingesetzt. Die Soldaten sollen aber ausschließlich "humanitäre" Aufgaben übernehmen.
Armee als "Schweizer Taschenmesser"
Dafür gab es schon viel Kritik und das beginnt schon bei den Streikkräften selbst. "Müssen wir bald auch die Post austragen oder den Müll einsammeln?", fragen sich Soldaten unter anderem in De Standaard.
Die Armee ist inzwischen so etwas wie das "Schweizer Taschenmesser" der Regierung, kann auch Le Soir nur feststellen. "Gibt's ein Problem? Rufen wir doch einfach die Streitkräfte!". Dieses vermeintlich starke Signal ist aber letztlich nur ein Zeichen von Schwäche. Insbesondere den Strafvollzug hat man in den letzten Jahrzehnten buchstäblich am langen Arm verhungern lassen. Und das gilt eigentlich für weite Teile des Öffentlichen Dienstes. Da kann auch die Armee auf Dauer nicht helfen.
Belgien ist tatsächlich ein "failed State", ein gescheiterter Staat, wettert Het Laatste Nieuws in einem wütenden Kommentar. Die Haftbedingungen in den Gefängnissen sind inzwischen absolut menschenunwürdig. Und das alles nur, weil insbesondere die frankophonen Beamten für jedes Kinkerlitzchen die Arbeit niederlegen.
Verantwortungsbewusstsein und Bürgersinn
Obendrauf kam ja am Montag noch eine fast schon surreale Protestaktion des Sicherheitspersonals im Brüsseler Justizpalast. Dort musste der große Prozess um die Vervierser Terrorzelle am Nachmittag kurzfristig abgebrochen werden, weil die Ordnungskräfte sich weigerten, nach 16:00 Uhr weiter zu arbeiten.
Gazet van Antwerpen appelliert denn auch an das Verantwortungsbewusstsein aller Beteiligten, beziehungsweise der Staatsbediensteten insgesamt. Die Streiks bei der SNCB zählt ja schon niemand mehr. Am Landesflughafen Zaventem legten nacheinander die Polizisten und dann die Fluglotsen den Flugverkehr komplett lahm. Und jetzt eben herrscht im Justizwesen das totale Chaos. Belgien zählt überdurchschnittlich viele Beamte. Die sollten nie vergessen, dass sie von der Allgemeinheit bezahlt werden.
Gerade im Justizwesen schaden sich die Gewerkschaften am Ende nur selber, glaubt Het Nieuwsblad. Wenn man dem Staat und insbesondere seiner dritten Gewalt die Hose runterzieht, dann beschädigt man deren Glaubwürdigkeit. Von eben dieser Glaubwürdigkeit leben aber nicht nur die Institutionen, sondern auch deren Mitarbeiter. Und wenn die nicht mehr ihren eigenen Institutionen vertrauen, warum sollten es denn noch die Bürger tun?
Genau in diese Kerbe schlägt auch De Standaard. Inzwischen kann man überall ein regelrechtes Abbröckeln des Staates beobachten, meint das Blatt. Auflösungserscheinungen. Die Gefängniswärter streiken, die Polizei geht auch auf dem Zahnfleisch, aber auch die Armee muss sparen. wer soll's denn richten? Brauchen wir vielleicht am Ende noch Blauhelme? Der eine oder andere sollte sich mal die Frage stellen, was vermeintlich angestaubte Begriffe wie Verantwortungsbewusstsein oder Bürgersinn bedeuten.
Kaputtgespart?
Wenn's nicht so traurig wäre, man könnte sich totlachen, meint auch L'Avenir. Der Öffentliche Dienst liegt offensichtlich am Boden. Natürlich muss die Effizienz der staatlichen Einrichtungen stetig verbessert werden. Natürlich müssen dort auch Einsparungen vorgenommen werden. Es gibt da aber eine kritische Grenze, ab der die eigentliche Arbeit nicht mehr möglich ist. Und diese Schwelle ist wohl in vielen Bereichen inzwischen unterschritten worden.
Das gilt offensichtlich zum Beispiel für die Armee. Eine von vier Auslandsmissionen ist in Gefahr, schreibt Het Laatste Nieuws auf Seite eins. Demnach stoßen also die Streitkräfte an ihre Grenzen. Neben ihrer neuerlichen "humanitären" Mission in den Gefängnissen werden die Soldaten ja schon seit über einem Jahr in den Straßen eingesetzt. Resultat: Elf der geplanten 44 Militärmissionen sind inzwischen ernsthaft gefährdet. Vier Einsätze wurden anscheinend schon komplett gestrichen.
Ganz andere Geschichte auf Seite eins von L'Echo: "Die Zahl der Langzeitkranken nimmt immer schneller zu", schreibt die Zeitung. Im vergangenen Jahr waren mehr als 370.000 Menschen registriert, die länger als ein Jahr krankgeschrieben waren. Innerhalb von zehn Jahren hat sich die Zahl um über 60 Prozent erhöht. Den Staat kostet das inzwischen mehr als fünf Milliarden Euro pro Jahr.
"Gott steht nicht über dem Gesetz"
"Die N-VA will die religiöse Neutralität des Staates nicht in der Verfassung festschreiben", notiert schließlich La Libre Belgique auf Seite eins. Einige Parteien denken darüber nach, die Trennung von Kirche und Staat in Form einer Präambel dem Grundgesetz sozusagen voranzustellen. Die flämischen Nationalisten haben aber einen anderen Vorschlag. Sie wollen ausdrücklich festhalten, dass niemand sich aufgrund von religiösen oder ideologischen Beweggründen dem Gesetz entziehen kann.
"Gott steht nicht über dem Gesetz", so resümiert es denn auch De Morgen auf seiner Titelseite. Experten halten das aber für symbolische Wortklauberei. Schon jetzt kann kein religiöses Argument in irgendeiner Form bestehende Gesetze aushebeln.
Roger Pint - Bild: Dirk Waem/BELGA